Schwaben - Tirol
Aus: Schwaben - Tirol. Beiträge. Ausstellung Augsburg 1989, S. 35-42. - S. auch Beitrag "Hauslandschaft der Almen im Karwendel" - www.lechrain1.de/almen/work/index.html
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Historische Beziehungen zwischen Schwaben und Tirol in der Neuzeit
von Pankraz Fried
I. Schwäbisch-tirolische Nachbarschaft: Definitionen
Es war schon für die mittelalterliche Geschichte ein schwieriges Unterfangen, die Gesamtbeziehungen
zwischen Schwaben und Tirol darstellerisch einzufangen, wenngleich hier die
einzelnen Bezüge noch weniger ausgeprägt waren und einen wesentlich
geringeren Niederschlag in den Quellen gefunden haben. Dies ändert sich mit
der beginnenden Neuzeit, im Grunde schon in den spätmittelalterlichen
Jahrhunderten. Die einzelnen Beziehungen vermehren und verstärken sich, der
quellenmäßige Niederschlag in den Archiven beginnt anzuwachsen.1)
Trotz einer Reihe von Studien wartet die immer
größer
Memminger Hütte in
Tirol
werdende Quellenfülle noch auf Auswertung, die im Grunde Jahrzehnte intensiven Forschens erfordert. Man betritt deswegen durchaus Neuland, wenn man in der Literatur speziell nach Titeln sucht, die explizit über Beziehungen zwischen Schwaben und Tirol in der Neuzeit handeln. 2) Ein Blick in Michael Forchers Buch »Bayern - Tirol« 3) zeigt, daß hier die altbayerisch-tirolischen Beziehungen dargestellt sind. Zu Recht, könnte man sagen, wenn nicht die schwäbisch-tirolischen Beziehungen vor 1800 als selbstverständliches Anhängsel der (alt- )bayerischen Geschichte miteinbezogen wären. Daß von den tirolischen (Handels- )Beziehungen mit Bayern diejenigen mit den freien Reichsstädten wie Augsburg, Regensburg und Nürnberg auseinanderzuhalten sind, darauf hat bereits Fridolin Dörrer 1967 hingewiesen und bemerkt, daß diese ja erst 1806 bzw. 1810 dem König-reich Bayern einverleibt worden sind.4) Vom bayerischen Standpunkt aus mag es naheliegen, die Frage zu stellen, ob denn die schwäbischen, vor allem ostschwäbisch-tirolischen Beziehungen so gewichtig waren, daß ihre eigenständige Darstellung, sogar in einer eigenen Ausstellung, gerechtfertigt ist: Ist nicht die Gefahr einer Übersteigerung gegeben, wenn diese Beziehungen allein oder zu sehr aus der schwäbischen Perspektive gesehen werden? Man kann als Antwort darauf die Gegenfrage stellen: Unterliegen nicht Eigenständigkeit und Gewicht schwäbisch-tirolischer Nachbarschaftsbeziehungen aus bayerischer Sicht der nämlichen Gefahr, hier allerdings umgekehrt, verkleinert, vernachlässigt oder gar für Altbayern vereinnahmt zu werden? Eine objektivere Antwort erhält man schon eher, wenn man etwa eine Geschichte der Stadt und des Hochstifts Augsburg, der schwäbischen Klöster und Adelsherrschaften oder die bisher vorliegenden zusammenfassenden Darstellungen zur Wirtschafts-, Kunst- und Kirchengeschichte Schwabens, vor allem Ostschwabens, zur Hand nimmt 5): Hier scheinen sofort die eigenständigen Beziehungen auf vielfältigen Gebieten zwischen beiden Ländern auf. Zwar sind hier politisch¬staatliche Beziehungen derart, wie sie zwischen Bayern und Tirol bestanden, relativ gering, doch sind sie dafür kaum durch größere kriegerische Auseinandersetzungen belastet. Auf wirtschaftlichem, künstlerischem und geistigem Gebiet sind jedoch Beziehungen zumindest von gleicher, wenn nicht stärkerer Intensität vorhanden.
Wenn schwäbisch-tirolische Beziehungen in der Neuzeit dargestellt werden sollen, so hat dies zur Folge, daß im Falle Schwabens eine untergegangene historische Region, allerdings gegliedert in eine Vielzahl selbständiger Herrschaften, wieder auftaucht und daß die reichisch und vorderösterreichisch geprägte Vergangenheit Schwabens wieder sichtbar wird.6] Es ist eine Geschichte, die seit den Umwälzungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts von der Historiographie der damals formierten süddeutschen Mittelstaaten in den Hintergrund gedrängt worden ist. Man braucht vom bayerischen Standpunkt aus jedoch nicht besorgt zu sein, daß Bayerisches zu kurz kommt oder gar ganz aus dem Blickfeld gerät: Die bayerische Nachbarschaft, vor allem auf dem herrschaftlichen Sektor, war im östlichen Schwaben zweifellos ebenso präsent wie die tirolisch-habsburgische. Doch bestand bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts eben ganz überwiegend schwäbische Nachbarschaft zu Bayern und nicht, wie seit 1803 bis zur Gegenwart, bayerische "Staatsuntertanenschaft", die sich durch den Demokratisierungs- und Kom-munalisierungsprozeß zur bayerischen Staatsbürgerschaft im Bezirk Schwaben emanzipierte. 7)
Während das Landesfürstentum Tirol zu Beginn der Neuzeit aber als
politische Größe mit festumrissenen Grenzen festlag, die sich bis 1918
kaum mehr wesentlich veränderten, ist der schwäbische Raum seit dem
Untergang der Staufer in eine Vielzahl verschiedenster Territorien
aufgesplittert. Was in den historischen Quellen seitdem als
»Schwaben« erscheint, ist mehr eine Landschafts bezeichnung als eine
politische Einheit. 8) Man suchte dem schwäbischen Raum, von dem sich
bis zum »Schwabenkrieg« 1499 längst die schweizerischen Kantone
abspalteten, durch Wiederaufrichtung des schwäbischen Herzogtums, durch
Landfriedenseinungen und Städtebündnisse, zuletzt durch den
Schwäbischen Städtebund (1488) eine gewisse innere Stabilität und
eine Einheit nach außen zu geben. Doch brachte erst die Errichtung eines
Schwäbischen Reichskreises 1500/1512 einen gewissen Fortschritt in
dieser Richtung. Obgleichdiesem eine wesentlich größere Bedeutung als
dem bayerischen oder österreichischen Reichskreis zukam, so blieb doch auch
der schwäbische bis zu seiner Auflösung 1806 eine
völkerbundähnliche Selbstverwaltungsorganisation der Territorien, deren
Größe und herrschaftlich¬staatliche Kompetenz in Schwaben
äußerst unterschiedlich waren. Da die österreichischen
Herrschaften in Schwaben und speziell vor dem Arlberg zum österreichischen
Reichskreis gehörten, bildete das kleine Stück
hochstiftisch-augsburgisch/tirolische Grenze die Grenze zu
»Schwaben«. Abgesehen vom Städtchen Vils, das erst nach der
napoleonischen Zeit 1816 noch zu Tirol kam, stellt sie heute noch die
Grenzmarkierung zwischen Schwaben und Tirol dar. Das Herzogtum Bayern, das ehedem
im Nordwesten nur mit einem winzigen Stück des Klostergerichts Ettal die
tirolische Grenze berührte, konnte hier durch den Erwerb der Herrschaft
Schwangau von dem Augsburger Patrizier Paumgartner 1565/67 etwas breiter
Fuß fassen.
Es ist also hier nicht möglich und auch nicht beabsichtigt,
»Schwaben« als gesamtschwäbischen Raum zu begreifen, also weder
das Gebiet des mittelalterlichen alemannisch-schwäbischen Stammesherzogtums
noch die Gebilde, die im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit als
Schwaben bezeichnet wurden (Landfriedensbezirk, Städte- und
Ritterbünde, Reichskreis). Ort und Veranstalter der Ausstellung legten es
nahe, den heutigen bayerischen Bezirk Schwaben sozusagen als Untersuchungsraum
auch für die Zeit vor 1800 zu wählen, ihn jedoch jederzeit darüber
hinaus auszudehnen, wenn dies der historische Zusammenhang als geraten erscheinen
ließ. Hier kann die alte Augsburger Bistumsgrenze hilfreich sein. Zentrum
des hier behandelten Schwabens ist also das östliche Schwaben, das von
Augsburg aus durch den sog. »Oberen« und »Unteren« Weg
mit Tirol verbunden war (Strecke über den Fernpaß bzw. Seefelder
Sattel). Die Verbindungen über den Arlberg zu den davor gelegenen
österreichischen Herrschaften wie zu den übrigen, im Schwäbischen
gelegenen Vorlanden und schwäbischen Gebieten überhaupt müssen
hier, wie schon im mittelalterlichen Teil, vernachlässigt bleiben.
Was historische Beziehungen zwischen zwei Regionen, im Grunde also eine
historische Regionalbeziehung zum Inhalt hat, haben soll, bedürfte einer
eigenen theoreti-[36]schen Untersuchung.9) Ganz allgemein sei festgestellt,
daß es sich um Wechselbeziehungen (»Interaktionen«) auf
verschiedenen Gebieten handelt, um herrschaftlich politische, geographisch
-verkehrsmäßige, wirtschaftliche, kulturelle und geistige Begegnungen
und Auseinandersetzungen mit jeweils unterschiedlichem Gewicht
(»Potential«). Dabei wird der Gesichtspunkt von wechselseitigen
Personen- und Bevölkerungs(ein)wanderungen (»Migrationen«) von
besonderem Interesse sein. Wie für das Mittelalter, so wurde auch für
die Neuzeit von wissenschaftlichem Beirat und Ausstellungsleitung versucht, in
Ausstellung und wissenschaftlichen Studien die bedeutendsten Beziehungen
darzustellen bzw. zu erörtern. 10)
Ein Ergebnis dieser Bemühungen ist sicherlich die Tatsache, daß Umfang
und Gewicht der schwäbisch-tirolischen Beziehungen, die bisher ganz im
Schatten der bayerisch-tirolischen Stammesbruderschaft standen, zum ersten Mal
deutlich gemacht wurden. Ich glaube, daß die Gefahr einer
Übersteigerung, die immer naheliegt, vermieden worden ist. Dies kann der
Vergleich mit den tirolisch-bayerischen Beziehungen unschwer zeigen. Im Folgenden
eine Inhaltsangabe oder Zusammenfassung der neuzeitlichen Einzelbeiträge zu
bieten, wäre eine unnötige Doppelarbeit. Es soll
lediglich versucht werden, durch Erörterung von Einzelaspekten einen
gewissen Überblick zu geben, der notwendigerweise unvollständig und
lückenhaft sein muß.
II. Epochen der Beziehungen
Als tiefgreifender Epocheneinschnitt in dem hier zu behandelnden Zeitraum
müssen die Jahrzehnte des beginnenden 19. Jahrhunderts angesehen werden, in
denen ein Abbruch vieler bisheriger Beziehungen erfolgte. Im Zeitraum vor diesem
Epocheneinschnitt (etwa Kaiser Maximilian I. (1490) bis Franz II. blieben die
herrschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen, wie sie sich bis zu Beginn
der Neuzeit entwickelt hatten, im wesentlichen konstant, wenn auch nicht
unverändert: Der Dreißigjährige Krieg mag hier eine gewisse
Zäsur für den wirtschaftlichen Bereich bilden, wie das Jahr 1665, in
dem Tirol als Träger einer selbständigen Außenpolitik
ausgeschieden ist, für den politischen. Für den Zeitraum der neuesten
Geschichte nach 1816 ist die Teilung Tirols 1918/19 als Folge des verlorenen
Ersten Weltkrieges ein bedeutsamer Einschnitt.
III. Grenzen, Straßen, Pässe, Klausen
Regionale Beziehungen sind meist durch geographische Nähe und Nachbarschaft
bedingt. Im Vergleich zur »schwäbisch«-bayerischen Grenze von
Füssen bis Rain am Lech ist der Grenzkontakt zwischen Tirol und Schwaben als
relativ klein zu bezeichnen. Doch führte durch dieses Stück eine der
wichtigsten Handelsstraßen des Mittelalters, die sich auch in die Neuzeit
hinein fortsetzte:11) die von (Nürnberg-) Augsburg nach Füssen
führende Straße, die über die Ehrenberger Klause und den
Fernpaß nach Imst weiterzog. Über Nassereith, wo man nach Innsbruck
(-Brennerstraße) abbiegen konnte, Landeck und Nauders kam man zum
Reschen-Scheideck-Paß. Von dort zog sie sich weiter durch den Vinschgau
nach Bozen und Trient; hinter Trient lief sie durch das Val Sugana, erreichte bei
Grigno venezianisches Territorium und bei Bassano die Po-Ebene. Über
Castelfranco kam man dann nach Venedig. Dieser als »obere
Straße« bezeichnete Handelsweg hatte ab Schongau eine Variante, die
über Oberammergau, Ettal, Mittenwald und den Scharnitzer Sattel den Zirler
Berg hinab nach Innsbruck führte und »untere Straße«
benannt war. Über den Brennerpaß führte sie über Bozen und
Trient nach Italien; bei der Venedig-Route bog man auf der Höhe von Unterau
(Franzensfeste) nach Osten ab, wo die Straße bis Toblach durch das
Pustertal führte und sich dann nach Süden wandte. Wenngleich 1492
für Münchner Kaufleute die Kesselbergstraße über den Kochel-
und Walchensee erbaut worden war, um dem vielfach überschwemmten Murnauer
Moor auszuweichen,12) so waren doch die »untere« und
»obere« Straße die »Geschichte enger Verbindungen
zwischen zwei Metropolen der frühen Neuzeit, Augsburg und Venedig« .13
] Zugleich waren beide Straßen die Hauptverbindungen vom östlichen
Schwaben nach Tiro!. 14) Doch kamen Kaufleute aus Ulm und Oberschwaben meist auf
der Straße über Kempten bei Reutte ins Gebirge, während man von
Augsburg aus auch häufig die »untere« Straße (über
Schongau - Ettal - Scharnitz) benützte. Gebirgs- und Paßstraßen
konnten Zugang und Durchgang sein, aber auch die Möglichkeit für fast
unüberwindbare Absperrungen bei sogenannten »Klausen« bieten.
Die Ehrenberger Klause, eine uralte Grenzfestung, widerstand den Heeren des
Schmalkaldischen Bundes 1546, des Moritz von Sachsen 1557 und schließlich
1632 den Schweden. 1782 versteigerte man die Feste und
schleifte sie.15) Bei Scharnitz war der Zugang von Bayern bzw. aus dem
freisingischen Werdenfels nach Tirol mindestens ebenso gut verwehrt. Und in
beiden Fällen war der Herzog von Tirol der Herr der Schanzen. Über die
vergeblichen Bemühungen, die Fernpaßstrecke seit dem 19. Jahrhundert
zu einer Eisenbahnverbindung von Füssen nach lnnsbruck auszubauen, ist
gesondert in diesem Band berichtet.16) Die aufstrebende bayerische
Landeshauptstadt München gab der lnntalstrecke und der Scharnitzlinie den
Vorzug. Reutte in Tirol erreichte man mit der Eisenbahn nicht von Augsburg -
Füssen aus, sondern von München über Garmisch. Die
Auseinandersetzungen des Hochstifts Augsburg mit Bayern wegen des bayerischen
Zolls in Schongau sind schon seit dem 4. Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts bekannt,
als der damalige Bischof eine »Niederlegung wegen der
Kauffmannschafft« in Bernbeuren und Füssen einrichten und eine
westlich des bayerischen Schongau vorbeiführende Straße bauen
ließ, um den bayerischen Zoll in Schongau zu umgehen, was zu heftigen
Protesten des bayerischen Herzogs wegen Umgehung der
»Reichsstraße« führte. 17) Noch in einem Bericht von
1604 heißt es, daß die Fuhrleute den bayerischen Zoll zu Schongau
umgehen, weil er die Waren von Venedig nach Augsburg ziemlich verteure:
»die fuerleut suechen ... Schongau und den pairischen poden zu
umbfahren«.18)
IV. Die Staatsgrenze zwischen dem Hochstift Augsburg und der Gefürsteten Grafschaft Tirol
Von herrschaftlich-staatlichen Beziehungen Tirols kann man hinsichtlich
schwäbischer Territorien hauptsächlich beim Hochstift Augsburg
sprechen, das vom 14. bis 16. Jahrhundert der Zersplitterung des Allgäuer
Raumes zwischen Iller und Lech erfolgreich entgegenwirkte.19) Das Hochstift
Augsburg, dem bekanntlich im tirolischen Außerfern Diözesanen
unterstanden, überbrückte kleinere Spannungen, die sich durch
Herrschafts- und Grenzstreitigkeiten mit Tirol ergaben, durch eine Reihe von
Verträgen, in der Hauptsache Vermarkungsverträgen.
Durch die erwähnten Grenzkontakte begegnen die Fürstbischöfe von
Augsburg im Spätmittelalter mehrfach als Schiedsrichter zwischen den Grafen
von Tirol und den geistlichen Reichsfürsten zu Brixen und Chur. Da das
Hochstift meist auf habsburgischer Seite stand, hatte es häufig selbst
schwer unter den Einfällen der feindlichen Truppen zu leiden, wie z. B. im
Dreißigjährigen Krieg, als es deren Marsch nach Tirol nicht Einhalt
gebieten konnte. Das nachbarliche Verhältnis war jedoch bereits der
stärksten Belastung im Bauernkrieg 1525 ausgesetzt gewesen. 20) [37]
V. Höhepunkt der Beziehungen unter Kaiser Maximilian I.
Ostschwaben wurde seit dem 14. Jahrhundert, als sich dort Habsburger und
Wittelsbacher als größte Territorialmächte installierten, zu
deren territorialem Kampfgebiet. Als die wittelsbachischen Herzöge von
Bayern-Landshut und Bayern-München im 15. Jahrhundert daran gingen, ihren
Territorialbesitz im östlichen Schwaben bis zur Iller und weit in die
schwäbische Alb hinein auszuweiten, schlossen sich gegen diese
wittelsbachische Ex¬ansion auf Drängen Kaiser Friedrichs III.
Fürsten, Ritter und Städte 1488 zum »Schwäbischen
Bund« zusammen. Mitglieder wurden der Bischof von Augsburg, der
Fürstabt von Kempten, die Grafen von Oettingen und Montfort und fast alle
übrigen schwäbischen Herrschaftsträger, um ihre mühsam
errungene Reichsfreiheit nicht zu verlieren. Ursprünglich mehr zur Sicherung
des Landfriedens gedacht, wurde der Schwäbische Bund immer mehr zu einem
Instrument der habsburgischen Politik gegen die Wittelsbacher, die entscheidend
von Kaiser Maximilian aus Schwaben und vom Zugriff auf Tirol
zurückgedrängt wurden: Durch das Eingreifen König Maximilians 1490
scheiterten die Versuche Herzog AIbrechts IV. von Bayern-München
endgültig, durch Ausnützung der prekären Finanzsituation des
Tiroler Landesherrn Herzog Sigmund des Münzreichen - der 1487 für den
Fall seines Todes dem Bayern die Anwartschaft auf ganz Tirol und fast aller
habsburgischen Besitzungen in den Vorlanden, also auch in Ostschwaben,
eröffnet hatte - Herr von Tirol zu werden. Zwei Jahre später, 1492,
gelang es Maximilian die an den Landshuter Wittelsbacher verpfändete
Markgrafschaft Burgau wieder an das Haus Habsburg bringen.21) Als 1503 die
wittelsbachische Linie im niederbayerischen Landshut ausstarb und sich die
Verwandten in München und der Pfalz um das Landshuter Erbe stritten, konnte
Maximilian als Vermittler das Land Tirol um die bayerischen Gerichte Rattenberg,
Kitzbühel und Kufstein beträchtlich erweitern. Die Habsburger
dominierten endgültig in Ostschwaben.
Die nachbarschaftlichen Beziehungen, die sich im Spätmittelalter auf den
verschiedensten Gebieten zw¬schen dem östlichen Schwaben und Tirol
angebahnt hatten, führten in der Regierungszeit Kaiser Maximilians (1493
-1519) zu einem ersten Höhepunkt. Er war bedingt durch den Aufschwung
Augsburgs zur Welthandelsstadt der frühen Neuzeit und das Aufblühen von
Innsbruck, der Hauptstadt Tirols, als zeitweilige Kaiserresidenz, seitdem der
1486 erwählte König Maximilian 1490 durch [38] Verzicht Sigmunds
des Münzreichen auch Herr von Tirol geworden war. So wie die
königliche Augsburg als Kreuzungspunkt der Handelsweg, Antwerpen nach
Venedig und Genua nach Kiew zu der europäischen Welthandelsmetropolen
aufgestiegen war, so traten Tirol und Innsbruck im März 1490 schlgartig in
den Brennpunkt der damaligen »großen Politik".
Die geopolitische Lage Tirols bedingte, daß es zum »Scharnier«
(Riedmann) zwischen dem von Maximilian durch seine Heirat mit Maria von Burgund
beanspruchten Herrschaftsräumen im Westen und den österreichischen
Stammlanden im Osten wurde und bedeutende Pässe nach Italien beherrschte,
ganz abgesehen vom »Bergsegen« und der daraus resultierenden
Finanzkraft, welche um 1500 ihren Höhepunkt erreichte. Beide
Städte und Länder rühmen sich, Maximilian sei einer der
»ihren« gewesen und hätte sich jeweils da oder dort besonders
wohl gefühlt. Es braucht nicht eigens betont zu werden, daß sich
damals vielfältige Beziehungen zwischen Innsbruck und Augsburg, Tirol und
Schwaben, insbesondere den dort liegenden österreichischen Vorlanden
einstellten. Auf sie kann im einzelnen nicht eingegangen werden, sie sind durch
die Beiträge von Hye, Kießling, Palme, Kellenbenz und Egg beleuchtet.
Erwähnt sei nur, daß sich in der Umgebung Kaiser Maximilian neben
Tirolern auch häufig Amtsträger aus Ostschwaben befanden. 22)
VI. Tirol als Zentrum und Außenposten habsburgischer Herrschaft - Schwaben zwischen Habsburg und Wittelsbach
Ein bestimmender Faktor in der Geschichte der schwäbischen Lande, deren
Verfassungs-entwicklung seit dem Spätmittelalter von der
»fortwirkenden Reichstradition und der Vielfalt der internen
politischen Kräfte «23) bestimmt wurde, war die Tatsache, daß
seit König Rudolf I. die Habsburger in ihren schwäbischen Stammlanden
eine entschiedene Territorialpolitik unter Ausnutzung der verbliebenen
Reichsrechte betrieben. Während sie damit gegenüber den Schweizer
Eidgenossen scheiterten, war ihnen in der Auseinandersetzung mit ihrem
stärksten Rivalen, dem Herzog von Bayern, aufs Ganze gesehen bis in die
napoleonische Zeit Erfolg beschieden. Ein entscheidender Markstein in
dieser habsburgischen Politik war, wie schon erwähnt, die Gewinnung Tirols
1363. Dessen war sich bereits Herzog Rudolf IV. bewußt, der damals an den
Dogen von Venedig schrieb, [39]»daß nun durch Gottes Gunst all
Verkehrslinien zwischen Deutschland und Italien seiner Kontrolle
unterstünden«.24) Dies galt vor allem für den aufkommenden
Vene-dighandel der süddeutschen Handelsstädte, insbesondere
Nürnbergs und Augsburgs. Noch stärker als seine Paßstaatsfunktion
in der traditionellen Nord-Süd-Richtung hatte Tirol für die
österreichischen Herzöge einen unschätzbaren Wert als Brücke
zwischen dem habsburgischen Herrschaftskomplex in Österreich, in der
Steiermark und in Kärnten zu den habsburgischen Stammlanden im
schwäbisch-alemannischen Südwesten des Reiches. »Diese neue
Aufgabe Tirols als Glied in einer Verbindung nach dem Osten und Westen setzte
auch neue Akzente in der inneren Entwicklung des Landes. In Handel und Verkehr
dominierten zwar weiterhin die vertikalen, den Alpenhauptkamm
überschreitenden Straßen und Wege, in der politischen Gewichtung
gewannen nach 1363 die Kontakte nach dem Osten und vor allem nach dem Westen, in
das Gebiet vor dem Arlberg, erheblich an Be-deutung.«25) Seit dem
ausgehenden 14. Jahrhundert erwuchs durch die Verbindung Tirols mit dem
habsburgischen Länderbesitz »vor dem Arlberg« allmählich
eine neue territoriale Einheit, für die der Name
»Oberösterreich« bzw. »Vorderösterreich« (=
habsburgische Vor-lande) in Gebrauch kam. Dazu gehörte auch die seit 1301
habsburgische Markgrafschaft Burgau im östlichen Schwaben. Als Folge
entwickelten sich fruchtbare Handels- und Kulturbeziehungen zwischen den
oberschwäbischen Handelsstädten, insbesondere Ulm und Augsburg, zu
Tirol. Das in Schwaz geförderte Silber und Kupfer wurde in süddeutschen
Städten, vor allem in Augsburg, verarbeitet. Einen ersten Höhepunkt
hatten diese Beziehungen zwischen dem Innsbrucker Hof und oberdeutschen
reichsstädtischen Handelsfamilien, insbesondere den Fuggern, unter Herzog
Sigmund den Münzreichen (1439/1490). Unter Kaiser Maximilian wurde Tirol und
Innsbruck zum Kernland der Habsburger, wie wir gesehen haben. Durch die Erringung
der ungarischen und böhmischen Krone ein Jahr nach dem Tiroler Bauernkrieg
1525/26 erhielt jedoch der habsburgische Län-derkomplex eine völlig
neue Gestalt. Da zudem noch die Oberherrschaft über die Länder aus dem
burgundischen Erbe Kaiser Karl V. und seinen spanischen Nachkommen zugeteilt
worden war, veränderte sich die politische Position Tirols innerhalb des
habsburgischen Herrschaftskomplexes grundlegend. Das Schwergewicht der nunmehr
entstehenden »Donaumonarchie« der Habsburger verlagerte sich nach
Osten; Tirol und die Vorlande gerieten nun in eine Randlage. Die Funktion Tirols
»als in der Mitte liegendes, verbindendes Scharnier zwischen [40] den
habsburgischen Gebieten im Osten und Westen« 26) wurde entscheidend
gemindert.
Zusammenfassend ist festzustellen, daß die von Tirol ausgehende
habsburgische Expansion in den schwäbischen Raum eine der grundlegenden
Voraussetzungen für die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen der
beiden Regionen war. Diese folgten, wie schon dargelegt, den traditionellen
Verkehrswegen, die vom Norden über Nürnberg, Augsburg, Füssen, den
Fern- und Reschen-Scheideck-Paß bzw. Schongau - Innsbruck und dem
Brennerpaß nach Italien führten. Vom schwäbischen Westen
erreichten Verbindungen über den Arlberg oder von Ulm über Kempten
Tirol und Italien.
VII. Wirtschafts- und Kulturbeziehungen vor der Reformation bis nach dem
Dreißigjährigen Krieg (1665)
Wie in Tirol und Innsbruck, so ist auch in Augsburg das Andenken keines anderen
habsburgischen Kaisers so sehr verwurzelt wie das an Maximilian 1., der wegen
seiner Zuneigung zu dieser Stadt und seinen Schönheiten auch als
»Bürgermeister« von Augsburg betitelt wurde. Unter seiner
Herrschaft erreichten die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen
Augsburg und Innsbruck einen ersten Höhepunkt. Augsburger Maler und
Kunsthandwerker arbeiteten für den Innsbrucker Hof, dem Geldstrom der
Kaufleute folgte die schwäbische Kunst. Oberdeutsche Großunternehmer
wie die Fugger (seit 1522) und Baumgartner (seit ca. 1515) verdrängten im
Bergbau, vor allem zu Schwaz, schrittweise die einheimischen Gewerken.
Früher als im Bergbau hatten sich die Fugger und Baumgartner in den
zunächst einträglichen Silberhandel eingeschaltet. In Verbindung mit
den zahlreichen Anleihen, welche die Handelsherren den Tiroler Landesfürsten
seit den Tagen Herzog Sigmunds vorstreckten, errangen sie nahezu eine
Monopolstellung auf diesem Gebiet und zogen daraus die entsprechenden Gewinne.
Schwaz stellte für das Handelshaus der Fugger einen wesentlichen
Stützpunkt in seinem gesamteuropäischen Unternehmenskonzept dar.
Aufgrund der langen Präsenz dieses Geschlechts in der Tiroler Silberstadt
neigte man später dazu, in den Fuggern die Hauptnutznießer des
Bergsegens in Schwaz zu sehen. In Wirklichkeit überflügelte aber die
ebenfalls in Augsburg beheimatete Gesellschaft der Baumgartner die Fugger in
Schwaz einige Jahrhundert hindurch in der Produktion, und auch die von
Mitgliedern dieses Handelshauses gewährten Anleihen, besonders an Karl V.,
sicherten den [39] Baumgartnern einen ansehnlichen Anteil am Metallhandel. Die
Beteiligung der Augsburger Firmen in Tirol war keineswegs nur auf den Schwazer
Bergbau beschränkt. Fugger, Baumgartner, Hoechstetter und andere Familien
hatten auch Anteile an den zahlreichen anderen Gruben, Hüttenwerken und
sonstigen Betrieben im ganzen Land. Als das Augsburger Handelshaus der Welser im
Jahre 1529 seine Aktivitäten auch auf die Neue Welt (Venezuela) ausdehnte,
waren bei dieser Expedition auch Schwazer Knappen beteiligt. Bereits in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ging der Bergbau in Schwaz wieder
zurück. Neben dem Staat konnten sich nur noch die Fugger als Gewerken in
Schwaz behaupten. 1660 traten diese ihren gesamten schwerverschuldeten Besitz in
Tirol ohne Entschädigung an den Landesfürsten ab.
Kaiser Ferdinand I. hatte 1567 seinem zweitgeborenen Sohn, Erzherzog Ferdinand
II., Tirol und die habsburgischen Vorlande (Ober- und Vorderösterreich) als
selbständige Herrschaft angewiesen. Dadurch bildete Tirol für ein
ganzes Jahrhundert das Zentrum eines eigenen Herrschaftsbereiches, der sich von
Kufstein und dem Lienzer Becken im Osten bis nach Belfort im Sundgau im Westen,
von Rovereto (Etschtal) im Süden bis nach Hagenau im Unteren Elsaß
erstreckte. Dieser war aus den verschiedensten Herrschaftseinheiten
zusammengesetzt: Vorderösterreich mit dem Sundgau und Breisgau, den
Landvogteien im Oberelsaß, Hagenau, Ortenau und in Schwaben der
Markgrafschaft Burgau zwischen Iller, Donau und Lech, der Grafschaft Hohenberg am
Neckar und schließlich das heutige Vorarlberg waren damit, wie schon ehedem
im 15. Jahrhundert, aufs engste mit Tirol verbunden. Neben dem gemeinsamen
Landesfürsten hatte die Regierung in 1nnsbruck eine übergeordnete
Stellung gegenüber dem von Maximilian I. in Ensisheim eingerichteten
vorderösterreichischen Regiment. Erzherzog Ferdinand II., der 1567 in
1nnsbruck seinen Einzug hielt, war bekanntlich bereits seit 1557 mit der Tochter
des Augsburger Handelsherren Franz Welser namens Philippine
vermählt. Er hatte ihr die mittelalterliche Burg Ambras in der Umgebung von
1nnsbruck geschenkt, nachdem er die Anlage hatte großzügig ausbauen
lassen. Hier ließ der Erzherzog auch seine umfangreichen Sammlungen
aufstellen, von der manches Stück in Augsburg hergestellt worden war. Obwohl
der Kaiser die unebenbürtige Heirat nach langem Zögern toleriert hatte,
blieb nach dem Tode der Philippine 1580 ihren Söhnen die Nachfolge in der
Landesherrschaft versagt. Der ältere, Andreas, stieg zum Kardinal der
römischen Kurie und zum Bischof von Konstanz und Brixen auf, der
jüngere, Karl, erhielt die Markgrafschaft Burgau mit der Residenz in
[40] Günzburg, wo er nach seinem Tode 1618 in der Frauenkirche begraben
wurde. Seine Nachkommen sind als habsburger Amtsträger noch einige
Generationen lang in Schwaben zu verfolgen. Als Erzherzog Ferdinand 11. 1595
verstarb, wurde er wie seine erste Gemahlin Philippine Welser in der von ihm
neben der Hofkirche erbauten »Silbernen Kapelle« beigesetzt.
(Barockes Grabmal vom Niederländer Alexander Colin.) Unter den Nachfolgern
als Regenten in 1nnsbruck verdient in unserem Zusammenhang der Hofkanzler der
verwitweten Erzherzogin Claudia von Medici (+ 1648), Wilhelm Bienner, ein
gebürtiger Schwabe, erwähnt zu werden. Als unbequemer Mahner
gegenüber der vom ältesten Sohn Claudias, Erzherzog Ferdinand Karl,
praktizierten großzügigen Lebensweise wurde er 1650 aufgrund von
Verleumdungen seines Amtes enthoben und 1651 als Opfer eines Justizmordes auf dem
Rattenberger Schloß hingerichtet. Schriftsteller, Dichter und Maler haben
sich seit dem 19. Jahrhundert dieses dramatischen Stoffes bemächtigt und der
Figur des »Kanzlers von Tirol« zu bleibender Popularität
verholfen. - Ein Sohn der Erzherzogin Claudia von Medici, Sigmund Franz, war
übrigens von 1646-1665 Fürstbischof von Augsburg, seit 1663 auch
Landesfürst von Tirol.
Was die Kunst dieses Zeitraums angeht, so empfingen um 1500 aus der
schwäbischen Kunstlandschaft eine Reihe von Malern in der Brixener Gegend
entscheidende Anregungen. Besonders prägend war der Einfluß der
schwäbisch-südwestdeutschen Kunstlandschaft im Vinschgau. Die
spätgotische Architektur ist in Tirol zu Beginn des 16. Jahrhunderts noch
durch eine große Zahl von einzigartigen Kirchenbauten vertreten. (Gotischer
Turmaufsatz der Pfarrkirche von Bozen, gestaltet von Burkhard Engelberg und
seinem Schüler Hans Lutz von Schussenried, der auch einige Jahre hindurch
den Bau der Sterzinger Pfarrkiche betreute.) Der Schwabe Bartholomäus
Steinle vereinigte im Hochaltar der Stamser Stifts-kirche zu Beginn des 17.
Jahrhunderts Elemente gotischer Schnitzaltäre mit frühbarocken
Formen.
Auf wirtschaftlichem Gebiet dürfen schließlich die jährlich
stattfindenden Bozener Messen nicht unerwähnt bleiben, die in der
frühen Neuzeit ihre höchste Blüte erlebten und zum
»nützlichsten Kleinod im Lande« wurden (Riedmann). Hier trafen
sich Kaufleute aus Ober- und Mittelitalien, vor allem Venedig, mit solchen aus
Oberdeutschland und Österreich. Umgeschlagen wurden vornehmlich
Gewürze, Südfrüchte, Öl sowie Produkte des italienischen
Gewerbes und Handwerks einerseits und Metalle, Metallwaren, Tuche, Felle und
Pelze andererselts.
VIII. Verbindungen im Zeitalter des Barock
Als Erzherzog Sigmund Franz 1665 ohne Söhne verschied, waren zum ersten Mal
seit den Herrschaftsteilungen der Habsburger im Spätmittelalter die
Voraussetzungen gegeben, Tirol tatsächlich und für dauernd unter eine
in Wien bestehende Regierung zu stellen. Den Innsbrucker Zentralstellen
(Regierung, Kammer und Geheimer Rat) verblieben jedoch ihre Zuständigkeit
für Tirol, das heutige Vorarlberg und die übrigen Vorlande, die nach
dem Westfälischen Frieden 1648 noch ausgedehnte Gebiete rechts des Rheins
mit dem Zentrum Freiburg sowie in Schwaben umfaßten. Kaiserliche
Statthalter und Gubernatoren residierten nun in Innsbruck. Die Gründung der
Universität Innsbruck - gewissermaßen als Ersatz für die
verlorene Hofhaltung- im Jahre 1669 ließ den Besuch tirolischer
Studenten der seit 1551
bestehenden
Hl. Notburga
ostschwäbischen Universität Dillingen versickern. Unter Maria Theresia
vereinigte man die für alle ober- und vorderösterreichischen Gebiete
zuständigen ZentralstelIen in Innsbruck zu einer Behörde, die seit 1763
die Bezeichnung »Gubernium« führte. Ihr Wirkungsbereich war 1752
wesentlich dadurch eingeschränkt worden, daß die in Konstanz bzw. seit
1759 in Freiburg im Breisgau für Vorderösterreich zuständigen
Instanzen direkt Wien unterstellt wurden. »Damit endete die seit dem 15.
Jahrhundert bestehende Verbindung zwischen den habsburgischen Gebieten im
Südwesten des römisch-deutschen Rei¬ches und Tirol, die in beiden
Bereichen bis zum heutigen Tage Spuren hinterlassen hat« (Riedmann). Nach
Freiburg war von 1797-1805 Günzburg der letzte Sitz der
vorderösterreichischen Regierung.
Auf wirtschaftlichem Gebiet hatte eine neue Etappe der Beziehungen nach dem
Dreißigjährigen Krieg eingesetzt. Die schwäbische Metropole
Augsburg, in der seit 1648 in allen Lebensbereichen Parität versucht und
auch geübt wurde, stieg wieder zum maßgeblichen Bank- und Handelsplatz
in Süddeutschland auf, was ihr besondere Attraktivität für die aus
Tirol und Oberitalien kommenden Kaufleute verlieh. Fast die gesamte katholische
Oberschicht war nach dem Dreißigjährigen Krieg aus der Lombardei,
Graubünden, Vorarlberg und vor allem aus Tirol eingewandert, wie es auch auf
den durch Pest, Hunger und Krieg fast menschenleer gewordenen Dörfern
Oberschwabens der Fall war. Augsburg, Innsbruck und Bozen sind wiederum die
Zentren des deutsch-italienischen Warenhandels. Ein perfekt organisiertes Post-,
Boten- und Transportsystem war Garant für einen relativ ständigen und
regelmäßigen Verkehr.
Am sinnfälligsten erscheinen die wechselseitigen Beziehungen im 17. und 18.
Jahrhundert durch den künstlerischen Austausch. Tirol, Schwaben und
Oberbayern sind damals eine große Kunstlandschaft; die Augsburger
Kunstakademie, gegründet 1710, entwickelt sich zu einem Mittelpunkt der
bildenden Künste, an der die bedeutendsten Augsburger Maler und
Kupferstecher ihre Unterweisungen gaben. Tiroler Maler und Bildhauer arbeiten in
Schwaben wie umgekehrt schwäbische in Tiro!. Der Name Matthäus
Günther steht für viele andere. Ein ungemein vielgestaltiges
Kommunikationsnetz, das sich von Handel, Wallfahrten, tirolisch-schwäbischen
Adelsverbindungen, Klosterkorrespondenzen bis zum einheitlichen Bildungssystem
der oberdeutschen Jesuitenprovinz erstreckte, verknüpfte und verband beide
Regionen. Den großen politischen Rahmen stellte immer noch das Alte Reich
dar, untermauert durch die habsburgischen Lande in Vorderösterreich, die,
wie schon dargetan, mit dem Zentrum Tirol von Freiburg im Br. über
zahlreiche größere und kleinere herrschaftliche Stützpunkte,
über Konstanz, Vorarlberg und die Markgrafschaft Burgau bis zur
Wertachbrücke vor den Toren Augsburgs reichten. Diese
reichisch-habsburgische Gemeinsamkeit und so manche grundherrschaftliche
Klosterbeziehung zu den Weinbergen Tirols mag auch der Grund dafür gewesen
sein, daß arme Tiroler Bergbauern im Sommer ihre Kinder den reicheren
schwäbischen Nachbarn als Dienstboten angeboten hatten. Man nannte sie bald
die »Schwabenkinder«. XXXXXXXXXXXXXXXXX
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Als Erzherzog Sigmund Franz 1665 ohne Söhne ver¬schied, waren zum ersten Mal seit den Herrschaftsteilun¬gen der Habsburger im Spätmittelalter die Voraussetzun¬gen gegeben, Tirol tatsächlich und für dauernd unter eine in Wien bestehende Regierung zu stellen. Den Innsbruk¬ker ZentralstelIen (Regierung, Kammer und Geheimer Rat) verblieben jedoch ihre Zuständigkeit für Tirol, das heutige Vorarlberg und die übrigen Vorlande, die nach dem Westfälischen Frieden 1648 noch ausgedehnte Ge¬biete rechts des Rheins mit dem Zentrum Freiburg sowie in Schwaben umfaßten. Kaiserliche Statthalter und Gu-bernatoren residierten nun in Innsbruck. Die Gründung der Universität Innsbruck - gewissermaßen als Ersatz für die verlorene Hofhaltung- im Jahre 1669 ließ den Besuch tirolischer Studenten in der seit 1551 bestehenden ost-schwäbischen Universität Dillingen versickern. Unter Maria Theresia vereinigte man die für alle ober- und vor-derösterreichischen Gebiete zuständigen ZentralstelIen in Innsbruck zu einer Behörde, die seit 1763 die Bezeich¬nung »Gubernium« führte. Ihr Wirkungsbereich war 1752 wesentlich dadurch eingeschränkt worden, daß die in Konstanz bzw. seit 1759 in Freiburg im Breisgau für Vorderösterreich zuständigen Instanzen direkt Wien un-terstellt wurden. »Damit endete die seit dem 15. Jahrhun¬dert bestehende Verbindung zwischen den habsburgi¬schen Gebieten im Südwesten des römisch-deutschen Rei¬ches und Tirol, die in beiden Bereichen bis zum heutigen Tage Spuren hinterlassen hat« (Riedmann). Nach Frei¬burg war von 1797-1805 Günzburg der letzte Sitz der vorderösterreichischen Regierung. Auf wirtschaftlichem Gebiet hatte eine neue Etappe der Beziehungen nach dem Dreißigjährigen Krieg einge¬setzt. Die schwäbische Metropole Augsburg, in der seit 1648 in allen Lebensbereichen Parität versucht und auch geübt wurde, stieg wieder zum maßgeblichen Bank- und Handelsplatz in Süddeutschland auf, was ihr besondere Attraktivität für die aus Tirol und Oberitalien kommen¬den Kaufleute verlieh. Fast die gesamte katholische Oberschicht war nach dem Dreißigjährigen Krieg aus der Lombardei, Graubünden, Vorarlberg und vor allem aus Tirol eingewandert, wie es auch auf den durch Pest, Hunger und Krieg fast menschenleer gewordenen Dör¬fern Oberschwabens der Fall war. Augsburg, Innsbruck und Bozen sind wiederum die Zentren des deutsch-italie¬nischen Warenhandels. Ein perfekt organisiertes Post-, Boten- und Transportsystem ist Garant für einen relativ ständigen und regelmäßigen Verkehr. Am sinnfälligsten erscheinen die wechselseitigen Beziehungen im 17. und 18. Jahrhundert durch den künstle-rischen Austausch. Tirol, Schwaben und Oberbayern sind damals eine große Kunstlandschaft; die Augsburger Kunstakademie, gegründet 1710, entwickelt sich zu ei¬nem Mittelpunkt der bildenden Künste, an der die be¬deutendsten Augsburger Maler und Kupferstecher ihre Unterweisungen gaben. Tiroler Maler und Bildhauer ar¬beiten in Schwaben wie umgekehrt schwäbische in Tiro!. Der Name Matthäus Günther steht für viele andere. Ein ungemein vielgestaltiges Kommunikationsnetz, das sich von Handel, Wallfahrten, tirolisch-schwäbischen Adels¬verbindungen, Klosterkorrespondenzen bis zum einheit¬lichen Bildungs system der oberdeutschen Jesuitenpro¬vinz erstreckte, verknüpfte und verband beide Regionen. Den großen politischen Rahmen stellte immer noch das Alte Reich dar, untermauert durch die habsburgischen Lande in Vorderösterreich, die, wie schon dargetan, mit dem Zentrum Tirol von Freiburg im Br. über zahlreiche größere und kleinere herrschaftliche Stützpunkte, über Konstanz, Vorarlberg und die Markgrafschaft Burgau bis zur Wertachbrücke vor den Toren Augsburgs reichten. Diese reichisch-habsburgische Gemeinsamkeit und so manche grundherrschaftliche Klosterbeziehung zu den Weinbergen Tirols mag auch der Grund dafür gewesen sein, daß arme Tiroler Bergbauern im Sommer ihre Kin¬der den reicheren schwäbischen Nachbarn als Dienstbo¬ten angeboten hatten. Man nannte sie bald die »Schwa¬benkinder«.
IX. Bruch und Neubeginn der Beziehungen im 19. und 20.
Jahrhundert
Einen radikalen Bruch fast aller Beziehungen brachte die Säkularisation
1803, das Ende des Alten Reiches 1806, der deutsche Zollverein 1834 und die
kleindeutsche Lö¬sung des deutschen Nationalstaates 1870/71, der die bis
dahin deutsch fühlenden Tiroler von ihren nächsten Ver¬wandten und
Nachbarn abtrennte. Die Säkularisation vernichtete in Schwaben, wie
allerdings auch in Alt¬bayern, ein zum Teil noch blühendes, auf
klösterlicher Kultur beruhendes Bildungssystem und Geistesleben; der
bayerische Staats zentralismus eines Grafen Montge¬las konzentrierte den
Staats- wie Kunst- und Kulturbe¬trieb auf die Hauptstadt München. Das
bis zur IlIer dem neuen Königreich Bayern einverleibte Schwaben war zur
Provinz im negativen Sinne herabgesunken, wenngleich sich Gewerbe und frühe
Fabrikindustrialisierung bemüh¬ten, im Wettlauf mit der wachsenden und
protegierten Hauptstadt München einigermaßen mitzuhalten. Doch
[41]Schwaben wird als eigenständige Kunstlandschaft nicht mehr greifbar. Die
Beziehungen zwischen Bayern und Tirol wurden durch die Besetzung Tirols durch
bayeri¬sche Truppen, die Säkularisation, die Wegnahme von Kunstwerken
und Bücherschätzen, die Requirierung für den Kriegsdienst und
nicht zuletzt durch eine überhebli¬che Verwaltung, die von
religiösem Brauchtum und tiro¬lischen Freiheitsrechten nichts wissen
wollte, belastet. Belastungen, die zwar auch der nunmehrige
»bayerische« Schwabe zu tragen hatte, die aber in Tirol zum
Volksauf¬stand von 1809 führten.
Im 19. Jahrhundert geht dann Bayerisch-Schwaben und Augsburg nach den kulturellen
Beziehungen auch ihre Bedeutung als Zentrum für den Nord-Südhandel
verloren, der durch den Bau der Eisenbahnstrecke über München -
Rosenheim - Innsbruck - Brenner »umgelei¬tet« wurde. Der von der
schwäbischen Wirtschaft wie-derholt geforderte Bau der
»Fernbahn«, also einer Bahn¬verbindung über den
Fernpaß - die kürzeste Nord-Süd¬Verbindung übrigens -,
scheiterte am passiven Wider¬stand der zentralen Stellen in
München.
Neue Anknüpfungspunkte ergaben sich in der 2. Hälf¬te des 19.
Jahrhunderts durch den aufkommenden Alpi¬nismus und den Tourismus, ohne
daß bis heute die einsti¬ge Dichte der wirtschaftlichen und kulturellen
Beziehun¬gen wieder erreicht wurde. (Vgl. Euringer-Spitze am SchIern, benannt
nach dem Augsburger Bankdirektor und Heimatforscher Gustav Euringer, Verfasser
des Wanderbuches »Auf nahen Pfaden«; »Augsburger
Hö¬henweg« in den Lechtaler Alpen usw.) [42]
Anmerkungen
1 Vgl. Fridolin Dörrer, Die für Vorderösterreich zuständigen
Behö den in Innsbruck und die Quellen zur Geschichte Vorderösterrei im
Tiroler Landesarchiv (Hans Maier, Volker Press, Hrsg.), Vord österreich in
der frühen Neuzeit, Sigmaringen 1989, S. 367-393.
2 Siehe Max Spindler, Handbuch der bayerischen Geschichte (HB Bde. 3/2
(Schwaben), München 1979, S. 1467 und passim.
3 Michael Forcher, Bayern - Tirol. Die Geschichte einer freud-lei, vollen
Nachbarschaft, Wien, Freiburg, Basel 1981, S. 53 (Karte), 66 usw.
4 Fridolin Dörrer, Tirols außenpolitische Beziehungen zu sei Nachbarn
im Norden und Süden (Überblick). In: Tiroler Hei 31/32, 1967/68,
S.22.
5 Wie Anm.2.
6 Maier/Press, Vorderösterreich in der Neuzeit.
7 Pankraz Fried (Hrsg.), Probleme der Integration Ostschwaben den bayerischen
Staat. Bayern und Wittelsbach in Ostschwa (VSchwFG R.7 Bd.5, Augsburg 1982;
Bemhard Hagel, Vom Landrath des Oberdonaukreises zum Bezirkstag Schwa
(1828-1987). (Materialien zur Geschichte des bayerischen Sch ben, hrsg. v. P.
Fried, H. 5) Augsburg 1988.
8 Karl S. Bader, Der deutsche Südwesten in seiner territorialsta chen
Entwicklung, 'Sigmaringen 1978 (2.); Pankraz Fried, Wolf-Dieter, Sick,
Historische Landschaft zwischen Lech und Vogesen.Forschungen und Fragen zur
gesamtalemannischen Geschichte, Vö. des Alemannischen Instituts Freiburg,
Nr.59 bzw. der SchwFG Bd. 17, Augsburg 1988.
9 Vgl. P. Fried, Begegnung der Regionen. Die Beziehungen zwis Schwaben und der
Oberpfalz. (Festschrift für Staatsminister August Lang) 1988.
10 Siehe die neuzeitlichen Beiträge in diesem Band.
11 Uta Lindgren, Alpenübergänge von Bayern nach Italien 1500-1800,
München 1986, v. a. S. 145 ff.
12 Lindgren, Alpenübergänge, S. 99 f.
13 Bernd Roeck, Reisende und Reisewege von Augsburg nach Ve in der zweiten Hälfte des 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahr derts (VSWG Beiheft 83) 1987, S. 179ff. 14 Wolfgang Zorn, Historischer Atlas von Bayerisch-Schwaben,
burg 1955, Karte 24. 15 Lindgren, Alpenübergänge, S. 145 f.
16 Siehe Beitrag Rothkegel in diesem Band.
17 P. Fried/S. Hiereth, Die Landgerichte Landsberg und Scho (Historischer Atlas
von Bayern, Teil Altbayern H.22/23), S. 219, Anm.213.
18 Lindgren, Alpenübergänge, S. 119 f.
19 F. Dörrer (wie Anm. 4), S. 28 H.; von den winzigen Enklaven i heute
Jungholz übriggeblieben.
20 Siehe Beitrag Blickle.
21 P. Fried, Die Markgrafschaft Burgau in der bayerisch-schwäbischen
Landesgeschichtsschreibung (Maier/Press, Vorderösterr, S.117ff.; HBG 3/2,
S.911 u. 981ff.
22 HBG 3/2, S. 910; Josef Riedmann, Geschichte Tirols, München 1982,
S. 92.
23 HBG 3/2, S. 910 f.
24 Riedmann, Geschichte Tirols, S.64. 25 Ebd., S. 65.
26 Ebd., S. 107f.
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