P.Fried, Lechrain

Der Lechrain - Historisch-volkskundliche Beiträge zu einer untergehenden Grenzlandschaft

Von Pankraz Fried

Aus: Forschungen zur historischen Volkskultur. Festschrfit für Torsten Gebhard zum 80. Geburtstag. München 1989, S.187 - 295


Der Ausdruck "Lechrayner", latinisiert "Lycatij", findet sich zum ersten Mal in der berühmten Cosmographie (= Erdbeschreibung) des Sebastian Münster vom Jahre 1550, und zwar als Eintragung in einer Karte, die Schwaben und Bayern beschreibt 1*). Die Lechrainer wohnen nach Auffassung dieses berühmten Humanisten und Kosmographen (= Geograph, 1489 zu lngelheim geboren, später Professor an den Universitäten Heidelberg und Basel) im Land zwischen Lech und Amper bzw. Ammer. Als Humanist wußte Münster vom Stamm der Likatier, der 15 vor Christus bei der Eroberung des Alpenvorlandes durch die Schwiegersöhne des Kaisers Augustus, Drusus und Tiberius, gleich vielen anderen keltischen und rätischen Völkerschaften besiegt und unterworfen worden war. Er war der Meinung, wie wir aus seinem Karteneintrag folgern dürfen, daß die Lechrainer zwischen Lech und Ammersee Nachkommen dieses einstigen keltischen Stammes seien. Daß man sie im 16. Jahrhundert am östlichen Lechrain, im Land südöstlich von Augsburg lokalisierte, läßt erkennen, daß die Eigenart der Bewohner dieses Raumes in Sprache, Sitte und Bräuchen bekannt war. Es hat allerdings lange gedauert, bis sich jemand der Beschreibung dieses Lechrainer Völkchens und seiner Geschichte annahm. Die erste und bisher einzige Geschichte des Lechrains stammt aus der Feder des kurfürstlichen Hof- und Bergrats Johann Georg von Lori aus der Zeit um ca. 1765.
Lori war selbst ein gebürtiger Lechrainer, Wirtssohn aus Gründl bei Steingaden, ging bei den Prämonstratensern im nahen Steingaden, dann bei Jesuiten in Augsburg, Dillingen und lngolstadt zur Schule, um sich schließlich aber, von der aufkommenden Aufklärung beeinflußt, dem weltlichen Leben zuzuwenden. Er machte als Beamter Karriere am Münchner Hof, vergaß aber nie die Liebe zur Geschichte und vor allem zur Geschichte seiner lechrainischen Heimat, obwohl oder gerade weil er einer der maßgeblichen Begründer der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1759 in München war. Seine Leidenschaft war das Durchstöbern von Archivgewölben und alten Bibliotheken, zu denen er aufgrund seiner Stellung damals schon Zugang hatte!
Auf dem Höhepunkt seiner beruflichen Tätigkeit - er hatte diplomatische Aufträge beim Abschluß der bayerischen Neutralitätskonvention mit Preußen 1763

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1*) Wolf-Dieter Sick, Der alemannische Raum in der Zeit des Humanismus nach der "Cosmographia" Sebastian Münsters. In: Alemannisches Jahrbuch 1981/83, S. 156.
1 )  Eine gute Biographie Loris findet sich in: Electoralis Academiae Scientiarum Boicae Primordia. Briefe aus der Gründungszeit der Bayer. Akademie der Wissenschaften. Hg. v. Max Spindler. München 1959, S. XII-XV.


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 und 1764 bei den Verhandlungen zu den Wahlkapitulationen gelegentlich der Kaiserwahl Josephs 11. zu Frankfurt zu besorgen - verfaßte der eingefleischte Junggeselle eine Geschichte des Lechrains. Getreu den neuen Methoden in der Geschichte hatte er zunächst alle wichtigen Urkunden gesammelt, und diese gab er 1765 in einem eigenen Foliantenband heraus: "Der Geschichte des Lechrains zweyter Band, Urkunden enthaltend". Es ist bis heute die Standard-Quellen-Sammlung zur Geschichte des Lechrains geblieben, den er allerdings weiter als seinerzeit Sebastian Münster begriff: Lori verstand darunter, wie es der geographische Umkreis seiner Urkundensammlung ausweist, das Land zu bei den Seiten des Lechs, in seiner ganzen Länge von Füssen bis Rain am Lech. Vielleicht ist es gerade dieser große Begriff vom Lechrain gewesen, daß Lori den Darstellungsband nicht mehr verfaßt hat. Zeit hätte er hierfür gehabt, als er als bayerischer Patriot 1777 in die Verwicklungen der bayerischen Erbfolge hineingezogen und 1779 nach Neuburg a. d. Donau in die Pension und Verbannung geschickt wurde. Die große bayerische Geschichte hatte es ihm angetan, er verfaßte 1782 noch ein dreibändiges Handbuch zur bayerischen Geschichte, aber man kann vielleicht sagen, daß ihm die Geschichte des Lechrains zu einer Historie des vom Lechrain begrenzten Landes, eben Bayerns, geworden war: unter diesem Aspekt hat Loris bayerische Geschichte bisher noch keine Beachtung gefunden. Am 23.3.1786 ist Johann Georg von Lori, der wohl bedeutendste Geschichtsschreiber des Lechrains, in Neuburg gestorben. "Notus omnibus, ignotus morior" -Allen bekannt sterbe ich als ein Unbekannter - so stand auf seinem Grabstein in Neuburg zu lesen, der längst verschollen ist. Das Haus, in dem er wohnte, ist aber noch bekannt.

Nun ist es keineswegs so, daß mit Lori die Bemühungen um die Erforschung und Darstellung der Geschichte des Lechrains ihr Ende gefunden hätten, dafür war sie zu inhaltsreich, zu interessant. Es gab und gibt eine Fülle von Einzelstudien, die sich mit dieser originellen historischen Landschaft befassen, vor allem im dialektologischen Bereich. Eine große zusammenfassende Darstellung, wie sie Lori geplant hatte, fehlt allerdings bis zum heutigen Tag. Lediglich ein einziger Versuch ist unternommen worden, die Lechrain-Geschichte Loris zu ergänzen und fortzusetzen: Der kgl. bayerische Reichsarchivdirektor Joseph Freiherr von Hormayr-Hortenburg wollte dies in seinem 1842 erschienenen Werk "Die goldene Chronik von Hohenschwangau - der Burg der Welfen, der Hohenstaufen und der Scheyren" nachholen, wie er ausdrücklich im Vorwort zu seinem Buche am 17. Juli (dem Geburtstag Loris) 1842 bekennt: "Seinen, Achtung gebietenden chronologischen Auszug bayerischer Historien bis zur Aechtung Heinrichs des Löwen hat Lori in seiner Verbannung geschrieben. Aber in solcher Abgeschiedenheit mußte Loris Geschichte des Lechrains nothwendig ein Bruchstück bleiben. Möge es den vorliegenden Blättern vergönnt seyn, diese Lücke, wenn auch bei vieljähriger , noch viel weiterer Entfernung von den Quellen, dennoch einigermaßen auszufüllen und durch reichen Beitrag zur Historie des Lechrains


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einen frischen Kranz zu legen auf das theure Grab des ,Bayern par excellence' seiner Zeit!" 2). Wie umfassend Hormayr seine Geschichte aufgefaßt hat, sagt er an anderer Stelle seines Vorworts: "So läßt sich an der goldenen Schwangauer Geschichts-Spindel gar viel abwinden, nicht nur alle Geschichte des Lechrains, sondern noch gar viel Größeres: Flor und Fall des Ritterthums und der Adelsbünde, der Krieg der Fürsten und Städte, des Adels und der Eidgenossen, die stolze Blüthe und das allmählige Sinken des süddeutschen Welthandels" 2a). An Sprache und Stil dieser Sätze merkt man, daß die Romantik Einzug in die Geschichts-schreibung gehalten hat, daß nicht mehr die strenge Urkundenforschung eines Lori dominierte, sondern die romantisierende Rückerinnerung ins Mittelalter. Die Darstellung ist Hormayr zu einer umfänglichen, ungemein material- und stoffreichen Chronik nach Jahreszahlen geraten, allerdings ohne Angabe der Quellen, aus denen er schöpft, und ohne Hinweis auf die großen Zusammenhänge und Entwicklungslinien der Geschichte des Lechrains.

Als die Lechgrenze noch Staatsgrenze war, was bis 1803 der Fall war, erscheint in den "Statistischen Auffschlüssen über das Herzogthums Baiern" aus der Feder des kurbayerischen Staatsrats Joseph von Hazzi aus dem Jahre 1802 der Lechrain mehrfach erwähnt 3). Unter dem Gericht Landsberg schreibt er bei der Schilderung des Dorfes Scheuring: "Da jetzt mit der Abtheilung der Weide sowohl als der Holzplätze angefangen ist, das Dorf Scheuring auch die die Hänge, die am ganzen Lechrhain - so heist auch das ganze Land - bis Friedberg öde lag, erst jüngst vertheilt, und zur Kultur vorbereitet hat, so werden diese Hängen oder Rhaine, wenn man die Mühe sich nicht reuen läßt, bald die schönsten Gärten von Baumpflanzungen darbieten, und die Gegend neu beleben". Unter dem Gericht Mering führt der gelehrte Staatsrat an, daß dort die großen hageren Männer meist blau gekleidet sind und immer mehr den Schwaben gleichen, "deren Sprache sie beinahe ganz haben". Von den "Weibsleuten" wird berichtet, daß sie sich wie die "Lechrainerinnen" kleiden. Mit Kissing könne man den "wohltätigen Lechrain als geendet" ansehen, wo alles "in Rücksicht des Bodens und Karakters mit den Lechrainern in gleichen Verhältnis" stehe. Die Bewohner des Gerichtes Aichach werden hingegen sehr verschieden von den Lechrainern geschildert: die Männer seien klein wie die Zwerge mit brauner oder schwarzer Haarfarbe; die Frauen weisen ebenso kleinen Wuchs und dazu noch "wilde Züge" auf. Schließlich stellt Hazzi beim südlich von Landsberg gelegenen Gericht Schongau fest: "Die Bewohner tragen sowohl den Karakter als der Kleidung nach das Gepräg der Mischung, halb schwäbisch, halb baierisch ... ".

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2)  Ebd. S. XI.
2a)  Ebd. S. XV f.
3 ) Joseph v. Hazzi, Statistische Auffschlüsse über das Herzogthum Baiern, aus ächten Quellen geschöpft. Bd. II, 1. Nürnberg 1802, S. 120, 222, 251, 267, 299.


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In der Geschichtsforschung tritt dann der Lechrain als Geschichtslandschaft seit dem 19. Jahrhundert immer mehr zurück. Der Grund mag wohl darin liegen, daß seit Beginn dieses Jahrhunderts der Lech keine Staatsgrenze mehr war, mit deren Entstehung und Geschichte es sich zu beschäftigen gelohnt hätte. Immerhin hatte der kgl. bayerische Reichsarchivdirektor Franz Ludwig Baumann 1902 noch einen umfassenden Aufsatz zur "Geschichte des Lechrains und der Stadt München" veröffentlicht, in der neben der Gründung Münchens die Entstehung der Stadt Landsberg im Mittelpunkt steht. Auf dem Gebiet der Volkskunde hat der Lechrain hingegen gerade im vorigen Jahrhundert seine einmalige Dokumentation gefunden: 1855 ist aus der Feder des Pitzlinger Schloßherrn Karl Freiherr von Leoprechting das Werk "Aus dem Lechrain " erschienen, mit den Untertiteln und Unterabteilungen: "Zur deutschen Sitten- und Sagenkunde, 1. Teil: Erzählungen aus dem Volke, 2. Teil: Das Bauernjahr in seinen Festen und Gebräuchen, Lostagen und Lebensweisen". Es gilt heute als lklassisches Werk der Volkskunde, was seine 1975 erfolgte Neuauflage unter dem etwas irreführenden Titel:
"Bauernbrauchtum und Volksglaube in Ober bayern " beweist. Der Lechrain darf sich glücklich schätzen, in Leoprechting eine so einmalige Darstellung Lechrainer Volkskultur und Bauernmentalität vor dem großen industriellen Umbruch gefunden zu haben.

Bei der bisherigen Betrachtung der historischen Lechrain-Literatur ist auffällig: es sind samt und sonders Abhandlungen von gelehrten Autoren, keine direkten Äußerungen eines Lechrainer Volksbewußtseins. Bei der Gründungswelle der historischen und Heimatvereine im 19. Jahrhundert entstand kein einziger Verein, der sich nach dem Lechrain benannt hätte. Ebenso gibt es bis heute keinen Lechrainer Trachtenverein. Ist das, was wir als Lechrain bezeichnen, nur eine Angelegenheit von gelehrten Humanisten, Geschichtsschreibern und         Volkskundlern, die sich mit dieser interessanten baierisch-schwäbischen Grenzlandschaft am Lech befaßt haben, weil sie durch Geburt, Wohnsitz oder durch wissenschaftliche Liebhaberei mit ihr verbunden waren?
Auf diese Frage haben wir eine Antwort zu geben, wenn heute der "Lechrain" zum Gegenstand geschichtlicher Erörterung gemacht wird. "Rain", das ist allgemein bekannt, ist ein altes Wort für Grenze; große Flüsse und Landschaften, sogar Orte haben davon ihren Namen, erinnert sei nur an den "Rhein", an die "Rhone", an den Ort "Rain"4). Es ist ein Wort, das auch im Wortgut der Mundart zu Hause ist: Mit "Rua" wird heute noch der Feldrain bezeichnet, also eine Grenze oder ein Grenzsaum. Es ist also ein Wort, das primär in der V olkssprache, in der Mundart verankert ist. Allein aus dieser Uberlegung könnten wir schon schließen, daß der "Lechrain" in den erwähnten Abhandlungen nicht eine gelehrte Neubildung ist, sondern einem lebendigen Sprachgebrauch entnommen

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4 )  J. Andreas Schmelier, Bayerisches Wörterbuch. Bd. 11. München 21877, Sp. 104 f., 112.


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sein muß. Es ist nicht nur einfach die Übersetzung von "Likatii", wenn Sebastian Münster 1550 von den "Lechrainern" spricht. Und der gebürtige Lechrainer Lori hatte den Begriff wohl von seiner Heimat mitbekommen. Der Freiherr Leoprechting auf dem Schloß Pitzling hatte seinerzeit nicht oberbayerische Bauernerzählungen aufgezeichnet, sondern "Erzählungen aus dem Lechrain" , weil sich die Bewohner als solche fühlten und bezeichneten, und weil Leoprechting um die Eigenart ihrer Sprache und ihres Volkstums wußte. Den letzten Beweis, daß es ein "lechrainisches Bewußtsein" gab - ob es ein solches noch gibt, ist eine andere Frage -, konnte man vor einigen Jahrzehnten noch von den ältesten Bewohnern unseres Landkreises erfahren. Angesprochen auf ihre eigentümliche Mundart, die weder ganz baierisch und noch schwäbisch klingt und befragt, ob sie nun Baiern oder Schwaben seien, bekam man zur Antwort: Bayern wohl, aber was die Sprache angeht, sind wir halt "Lechrainer" . Der Lechrainer Mundart, die durch eine Mischung von baierischen und schwäbischen Sprachelementen sowie durch sehr altertümliche, oft noch mittelhochdeutsche Lautungen gekennzeichnet ist, die an das Südbaierisch- Tirolerische erinnern, entsprach ein eigenes lechrainisches Bewußtsein, eine eigene Lechrainer "Identität". Gegen die Schwaben grenzte man sich selbstverständlich als Baiern ab; der Lech galt als die unverrückbare Grenze - seit der Welterschaffung, wie es im Volkswitz heißt, als Gottvater auf der Lechbrücke stand und zu den Baiern sagte: "Es werde", zu den Schwaben aber "Ös sei (= ihr Säue)". Bezeichnend für das Sonderbewußtsein des Lechrainers war es, daß er sich auch gegenüber den Baiern abgrenzte, obwohl er sich durch und durch als solcher fühlte und sein baierisches Überlegenheitsgefühl bei jeder Gelegenheit dem Schwaben gegenüber zum Ausdruck brachte.
Der Lechrainer mußte es als guter Alt- und Grenzbaier hinnehmen, daß er von seinen Brucker, Starnberger oder Münchner Stammesbrüdern glatt als Schwabe bezeichnet wurde - ein Preuße, der vor 30 Jahren nichtsahnend in vorgerückter Stunde einen Lechrainer als "Sauschwab" titulierte (in einem Wirtshaus im unteren Landkreis Landsberg), hätte damals damit beinahe eine handfeste Messerstecherei ausgelöst.
Dies ist aber nun das Auffällige: Der Lechrainer hat aufgrund seiner Mundart auch dem Baiern gegenüber ein Eigen- und Sonderbewußtsein - zumindest hatte er es. Im 19. Jahrhundert z. B. war noch genau bekannt, daß die Grenze zwischen dem Lechrainischen, der "rechten Sproch", und dem Baierischen der Unterländer im Meringer und Brucker Hinterland die obere Maisach bildete, die meine Großmutter den "Doldeigraben" nannte. Auf der anderen Seite, so habe ihr die Mutter erzählt, fangen die Leute zu "mölteln", also Unterländisch-bayerisch zu reden an. Zunächst schenkte ich dieser Erzählung nicht allzuviel Beachtung. Nicht wenig aber staunte ich, als ich in der bayerischen Topographie Philipp Apians aus der Zeit um 1560 unter dem Gericht Landsberg den folgenden Eintrag fand: "Moraweiss p., templ.; ad hunc

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Pagum rivum Tolletin exoritur, perexiguus, ita ut aliquando totus exarescat, ubi vero arcem Adeltzhoven praeteriit, Maisahae nomen obtinet. "5). Zu deutsch:
"Moorenweis, Dorf, Kirche; bei diesem Dorf entspringt der Tollitin Bach, so klein, daß er bisweilen gänzlich versiegt; wo er aber gerade an dem Schloß Adelshofen vorbeifließt, erhält er den Namen Maisach!" Den Doldeigraben gab es also wirklich! Noch mehr klärt sich diese Lechrainer Sprachgrenze gegenüber dem Baierischen auf, wenn man sich in die Geschichte der baierisch-schwäbischen Sprachgrenze am Lech vertieft 6).  Bekannt sind die starken schwäbischen Spracheinschläge zwischen dem Lech einerseits und der Oberen Maisach - Amper - Ammersee - Staffelsee andererseits. Es ist genau das Gebiet, in dem Sebastian Münster in seiner Kosmographie die Lechrainer ansiedelte. Die östliche Linie deckt sich nun haarscharf mit dem Aufhören schwäbischer Lautungen und dem Beginn der echten "bayerischen" Mundart: es sind die Abgrenzungen: 1. schwäbisch a gegen bair. 0: z.B. Tag/Tog, alt/oid, Vatr/Vodr, macha/mocha, hawa/ham bzw. horn usw.; 2. schwäbisch Aftermenta gegen bair. Mörchta (= Erchtag, Dienstag); 3. für die hochdeutsche Nachsilbe -en schw. -a gegen bair. -(e)n, z. B. essa/essn, fara/forn, hawa/haom, gejwa/gejm, tua/tean, gwejsa/gwen; d'Hasa/ d'Hosn (Hasen) usw.

Sprachwissenschaftlich gesehen ist also das, was der Lechrainer gegenüber den Baiern als "Lechrainisch" empfindet, schwäbischer Spracheinschlag, der übrigens in einzelnen Formen bis zur Isar sich verfolgen läßt. Das Lechrainische ist aber nicht nur eine baierisch-schwäbische Mischmundart, es erhält seinen eigentümlichen Charakter und seine sprachliche Individualität mindestens ebenso sehr dadurch, daß hier mittelhochdeutsche Wortformen auftreten, wie sie sich in Mundartgrenzgebieten wie z. B. im Südbaierischen, also im Tirolischen erhalten haben. Einige Beispiele: die stark affrizierte (behauchte) Aussprache des k, das von seinem alpinen Verbreitungs gebiet mit einem Ausläufer in das Lechrainer Dialektgebiet hineinreicht: Khurcha = Kirche, Zuckher = Zucker; weiter: statt Berg, Dorf, werfen heißt es im Lechrainischen "Barg, Darf, warfa"; ein hochdeutsches h in der Wortmitte wird noch altertümlich wie ch ausgesprochen: zejcha = zehn; Weichr = Weiher, Zeacha = Zehen usw. Nicht zu übersehen ist schließlich der altertümliche Wortschatz am Lechrain: "Khloutza" für Fenster¬laden, "focha" für Fangen ("Fochaless" war ein Kinderspiel) "Mellin" für Mäd-

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5 ) Philipp Apian's Topographie von Bayern und bayerische Wappensammlung. Hg. v. Hist. Ver. v. Oberbayern (= OA 39 [1880]), S. 42, Z. 10-13.
6 ) Pankraz Fried, Die Mundart im Landkreis Landsberg. In: Heimatbuch für den Landkreis Lands¬berg a. Lech. Landsberg 21982, S. 283-286; Lit. S. 872 f. - Rudolf Freudenberg, Der alemannisch¬bairische Grenzbereich in Diachronie und Synchronie. Studien zur oberdeutschen Sprachgeographie. Marburg 1974. - Ingo Reiffenstein, Mundarten und Hochsprache. In: Max Spindler (Hg.), Handbuch der bayer. Geschichte. Bd. IV /2. München 1975, § 32 u. 33. - Edward Nübling, Hauptsprach-. und Stammesgrenzen. In: Wolfgang Zorn (Hg.), Historischer Atlas von Bayerisch-Schwaben. Augsburg 1955, S. 12 f.

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chen (Nachsilbe -lein wird noch mittelhochdeutsch lin, len ausgesprochen), Bisgurk(k)a = bissiges Weib, vom mhd. Gurre = altes Pferd, ejkhenta = im Herd Feuer machen: hier sogar ein Lehnwort aus dem lat. incendere!
Fassen wir zusammen: 1. Das "Lechrainische" ist eine "Sproch für sie sölwr", eine eigene Mundart, die ein gewisses Eigenbewußtsein und Zusammengehörigkeitsgefühl der Lechrainer begründete. 2. Zur Ausbildung eines stärkeren Eigenbewußtseins derart, daß man von einem eigenen "Lechrainertum" sprechen konnte, ist es jedoch nicht gekommen. Die Identifizierung mit Baiern und dem Baierischen war zu stark. 3. Das lechrainische Bewußtsein gründete sich ganz auf die Spracheigentümlichkeit der bäuerlich-handwerklich-ländlichen Schichten im Lechrainer Dialektraum, der sich in etwa mit den Altlandkreisen Landsberg und Schongau rechts des Lechs deckte; weiter nach Süden geht er ins Werdenfelsische über.
Seit einigen Jahrzehnten ist leider festzustellen, daß dieser sprachgeschichtlich hochinteres-sante, in seinem Klang so ursprünglich und urtümlich anmutende Lechrainer Dialekt und damit auch das Lechrainer Bewußtsein im Aussterben begriffen ist. Es war eine Sprache der Bauern, der Dorfhandwerker und der bäuerlichen Dienstboten. Durch die Volltechnisierung der Landwirtschaft, durch die Ver(vor)städterung des Landes, durch Industrieansiedlung und Arbeiterwohnsiedlungen ist die alte Bauern- und Handwerkswirtschaft und damit das gesamte alte bäuerliche Dorfleben fast ganz untergegangen, damit aber auch die vielen Dialektausdrücke, die sich auf altes bäuerliches Wirtschaften, auf alte landwirtschaftliche und handwerkliche Geräte bezogen. Die Jahre von 1950-1978, eine Generationenspanne also, war die Zeit einer gesellschaftlichen "Revolution" im Sinne einer gewaltlosen, aber um so tiefer gehenden Umwälzung, wie sie die Geschichte des Lechrains vorher zu keiner Zeit noch gekannt hat: Das alte traditionelle Bauern- und Handwerkerturn, das um 1800 fast 90% der Bevölkerung im Landgericht Landsberg ausgemacht hat, ist untergegangen; geblieben sind noch über 10% landwirtschaftliche Bevölkerung, die unter den agrarstrukturellen Bedingungen des EG-Marktes sich zu behaupten versucht  6a). 
Die Schnelligkeit, mit der uralte Traditionen und Brauchtum über Bord gewor¬fen wurden, ließ die Bande mit dem Überlieferten reißen, so daß vieles unwiederbringlich verloren ist. Die Nachteile einer Übertechnisierung, vor der gerade historische und Heimatvereine schon früher gewarnt haben, dafür seinerzeit aber nur mitleidig belächelt wurden, stellen sich immer mehr ein. Verlust erleidet auch die angestammte, heimische Lechrainer Mundart. Sie wird bestenfalls noch von den Älteren gesprochen, von den Jungen gerade noch verstanden. Mit dem Dialekt schwindet auch Mentalität und geistige Eigenart des Lechrains dahin.

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6a) Pankraz Fried, Die Sozialentwicklung im Bauerntum und Landvolk. In: M. Spindler (wie Anm. 6), § 37, 38, 39.


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Noch ist die Mundart jedoch nicht ganz ausgestorben. Die ältere Generation auf dem Lande spricht sie noch. Es stellt sich die Frage, ob das Lechrainische nicht in irgendeiner Form erhalten werden könnte, so wie beispielsweise die absterbende bäuerliche Gerätekultur in den Heimatstuben. Bei der Sprache geht dies nicht so einfach, sie ist ja letztlich etwas Geistiges, das man am ehesten literarisch fassen kann. Eine eigene Lechrainer Literatur gibt es nicht, die dieses Wort verdienen würde. Was vorhanden war, vielleicht noch vorhanden ist, das sind Sprichwörter, Redensarten, Reime, Erzählungen, Lieder aus dem bäuerlich-handwerklichen Bereich. Was noch da ist, das ist die eigenständige Mundart in Lautform und Wortschatz. Die Dialektwissenschaft ist längst daran, die letzten Reste dieser Mundart aufzunehmen und zu erforschen, allerdings nur für einige wenige Orts- und Wortfelder. Es gibt bereits mehrere Untersuchungen über die Ursprünge dieses Dialekts; sie führen uns weit zurück in die Geschichte des Lechrains, in die Zeit des 6. Jahrhunderts, als der Lech zur Grenze zwischen Bayern und Schwaben wurde 7). Die schwäbischen Einschläge im Lechrainer Dialekt östlich des Lechs erklärt man sich zunehmend wieder damit, daß es doch Schwaben (Alemannen) waren, die sich vor den Bayern hier niederließen und ihr Schwäbisch bis zum heutigen Tage bewahrt haben. Seit dem 6. Jahrhundert jedoch dauernd baierisch beeinflußt, übernahmen sie die entscheidenden baierischen Mundartmerkmale: ös = ihr, enkh = euch, ins = uns usw. 8)
Für die Sprachwissenschaft ist der lechrainische Dialekt so wertvoll, daß bis jetzt einiges, allerdings wegen Mangel an Mitteln noch nicht alles, getan worden ist,

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7)  Pankraz Fried, Zur Entstehung und frühen Geschichte der alemannisch-baierischen Stammesgrenze am Lech. In: Augsburger Beiträge zur Landesgeschichte Bayerisch-Schwabens. Bd. 1. Sigmarin¬gen 1979, S. 47-67.
8)  Neuerdings wird, ausgerechnet am Beispiel der alemannisch-baierischen Stammesgrenze, bezweifelt, daß sie in der Frühzeit auch einer Mundartgrenze entsprochen hätte. (Dieter Geuenich u. Hagen Keller, Alamannen, Alamannien, alamannisch im frühen Mittelalter. In: Herwig Wolram u. Andreas Schwarcz [Hgg.], Die Bayern und ihre Nachbarn, Teil 1 [= Österr. Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Kl., Denkschriften, Bd. 179]. Wien 1985, S. 135 ff. - D. Geuenich, Zur Kontinuität und zu den Grenzen des Alemannischen im Frühmittelalter. In: Pankraz Fried u. Wolf-Dieter Sick [Hgg.], Veröff. d. Alemannischen Instituts Freiburg i.Br. Nr. 59, zugleich d. Schwäbischen Forschungsgemeinschaft, Reihe 1, Bd. 17. Freiburg 1988, S. 115 ff.
Die offensichtlich unfaire und sensationsheischende Kritik Geuenichs ist umso unverständlicher, als gerade die alemannisch-baierische Stammesgrenze am Lech spätestens seit dem ausgehenden 8. Jahrhundert nachzuweisen ist und sie dialektologisch eine der stärksten Mundartgrenzen im deutschen Sprachraum überhaupt darstellt und deshalb niemals im Spätmittelalter entstanden sein kann. Selbstverständlich gab es im Laufe der Jahrhunderte Veränderungen, vor allem durch Überlagerung mit dem vordringenden Baierischen. Ein reiner Quellenpositivismus führt hier jedoch nicht weiter, son dern nur die mühsame sprachgeschichtliche und sprachgeographische Forschungsarbeit, der sich Geuenich bisher nicht unterzogen hat.

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ihn mit den modernen Methoden der Sprachwissenschaft zu dokumentieren und zu erforschen 9).  Soll der Lechrainer Dialekt aber nur zum Gegenstand linguistischer Forschung einiger Dialektologen innerhalb der elfenbeinernen Türme der Universitäten und Akademien werden? Wäre es nicht Pflicht der Älteren, die ihn noch kennen und können, in geeigneten Formen den Jüngeren zu vermitteln? Und sollte nicht die Jugend ein Interesse haben, die Sprache der Eltern nicht untergehen zu lassen, sich mit ihr noch vertraut zu machen? Es kann nicht darum gehen, einen aussterbenden Dialekt wieder zur Umgangssprache zu machen; das wäre ein aussichtsloses Unterfangen, da hinter dem Lechrain heute kein stärker ausgeprägtes Eigenbewußtsein mehr steht. Was getan werden könnte, um diesen Dialekt als geistig-kulturellen Bildungswert zu erhalten, wäre vielleicht folgendes: 1. Veranstaltung von Mundartsprechen im Lechrainer Dialekt, wobei für die besten Mundartsprecher und -dichter (warum nicht?) Preise ausgesetzt werden sollen. 2. Theaterstücke auf den Dorfbühnen sollten möglichst in der Lechrainer Ortsmundart aufgeführt werden, und nicht, wie es vielfach der Fall ist, in einem Münchnerischen Rundfunkbayerisch oder gar mißglückten (Nord-)Hochdeutsch. 3. Durch das Wissen um den kulturellen Wert der Lechrainer Mundart sollten die Minderwertigkeitskomplexe abgebaut werden, die einer ehemals bäuerlichen Mundart heute noch anhaften (ein Praktikum in der Schweiz würde hier Wunder wirken!). 4. Das Problemfeld Mundart-Schule müßte auch in Hinblick auf den Lechrainer Dialekt erörtert und erschlossen werden. Es ist bekannt, daß der Dialekt eine Barriere für ein einigermaßen gutes Hochdeutsch sein kann - er kann aber auch, didaktisch richtig angegangen, die erste Anfängerübung für "Zweisprachigkeit" und damit Vorschule für die Fremdsprachenerlernung sein. 5. Wertvolle Initiativen zur Dokumentierung und Konservierung des Dialekts sind Tonbandaufnahmen von Mundartgesprächen mit älteren Leuten, die den Dialekt noch einigermaßen unbeeinflußt von der nivellierenden Umgangssprache sprechen. Ich könnte mir vorstellen, daß es gerade für die Jugend von Reiz wäre, statt Disko-Musik einmal auch zur Abwechslung einige Kassetten Lechrainer Dialekt aufzunehmen: sie würde damit nicht nur der Heimat, sondern auch der Wissenschaft einen wertvollen Dienst leisten. 6. Voraussetzung für all diese Initiativen wäre eine "Lechrainer Mundartfibel", die alles Wissenswerte und Wertvolle über diesen Dialekt volksnah schildert und dann in einem Wörterbuch mit Kurzgrammatik den Dialekt erschließt. Sie ist inzwischen aus der Feder von M. Wölzmüller erschienen 10).

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9)  Werner König, Der Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben, im Rahmen der anderen Sprachatlanten des Alemannischen. In: Veröff. d. Alemann. Inst. (wie Anm. 8), S. 165 ff.
10)  Martin Wölzmüller, Der Lechrainer und seine Sprache: Landschaft, Brauchtum, Mundart.
Landsberg 1987.

Sonderdruck aus:
Forschungen zur historischen Volkskultur
Festschrift für Torsten Gebhard zum 80. Geburtstag
herausgegeben von Ingolf Bauer Edgar Harvolk Wolfgang A. Mayer
München 1989
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 Ausklang:

HEIMATMUSEUM

Zum Untergang der Lechrainer Geschichtslandschaft im Landkreis Landsberg

Von PANKRAZ FRIED

Aus: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte Bd.68, 2005, S.147 -163

Der Inhalt des Romans von Siegfried Lenz ist bekannt 1). Mit schweren Brandwunden liegt der Teppichwirker Zygmunt Rogalla im Krankenhaus einer norddeutschen Kreisstadt. Er versucht den unfaßbaren Tag einem Besucher zu erklären: Er habe mit voller Absicht das masurische Heimatmuseum angezündet, das er zuvor unter großen Opfern in Schleswig-Holsteine aufgebaut hatte, um das Erbe seiner verlorenen Heimat zu retten. Warum? Schicht um Schicht enthüllt Rogalla die Motive seiner Brandstiftung, von den Schrecken der beiden Kriege, die seine Heimat zerstört haben, von der Flucht und Vertreibung.
Im folgenden geht es um die weniger dramatische Geschichte vom Untergang eines Heimatmuseums in der Heimat selbst, vom Ende eines Heimatmuseums, das an das bäuerliche Erbe einer lautlos untergegangenen Geschichtslandschaft, des Lechrains, erinnern sollte. Es handelt sich um einen historischen Tatsachenbericht, also um keinen Roman mit historischem Kern oder Hintergrund. Sicherlich wäre aus dem Tatsachenstoff auch ein solcher zu gestalten gewesen, doch ist das nicht das Metier des Verfassers.
Nach dem 2. Weltkrieg sind eine große Zahl von Heimatmuseen entstanden, man glaubt an die 700, die zu einem großen Teil für wert befunden wurden, im bayerischen Museumsführer aufgenommen zu werden 2). Jedes Museum hat im Grunde seine eigene Geschichte und seine eigene Prägung. Allen ist aber gemeinsam, daß sie irgendwie an die verlorene Heimat in der Ferne oder in der Heimat selbst erinnern wollen. "Sie bereichern heute als unverzichtbare kulturelle Einrichtungen und Schwerpunkte Regionen, Städte und Gemeinden"  (Generalkonsservator Greipl). Sie sind die unverzichtbaren "Proseminare" in der Landesgeschichte für alle Schularten bis hinauf zur Universität. Mit dem Absterben der sie tra- ____________________________

1 dtv 14. Auf!. 2003.
2 Museen in Bayern. Ein Führer zu 814 kunst- und kulturhistorischen, naturkundlichen und technischen Museen. Hrsg. von der Landesstelle für die Nichtstaatlichen Museen (Egon Johannes Greipl), München 1991.

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genden älteren Generation drohen jedoch manche dieser Museen ein- und unterzugehen. Die versuchte Einsparung der Leiterstelle des bayernweit bekannten Jexhof-Museums im Landkreis Fürstenfeldbruch wirkte hier wie ein Fanal. Doch war vorher bereits ein benachbartes Heimatmuseum eingegangen. Dies soll mit der folgenden Geschichte dokumentiert werden.
Schauplatz des Geschehens ist der Landkreis Landsberg, der Mittelpunkt der untergegangenen Geschichtslandschaft des Lechrains. Es war eine Landschaft mit einer ehrwürdigen Geschichte und einer tiefverwurzelten bäuerlichen Tradition 4). Schon zu Beginn der Römerzeit sind "Likatier", Lechrainer eigens erwähnt. Im frühen Mittelalter wird der Lech zur Grenze zwischen Bayern und Schwaben. Im Hochmittelalter ist es das Land der Welfen, Andechser und Staufer, die hier ihre Burgen und reichen Grundbesitz hatten. Nach dem Aussterben der Staufer 1268 fällt der Lechrain an die Wittelsbacher, die hier das Landgericht Landsberg begründen, das von den Trauchgauer Bergen bis vor die Tore Augsburgs reichte. Die Stammesgrenze wurde damals zur Landesgrenze, die bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestand 5).
Der vom Lechrain stammende kurfürstliche Hofrat Johann Georg von Lori, der Begründer der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hat als einer der ersten die Geschichte seiner Heimat auf urkundlicher Grundlage erforscht 6). Nach ihm wurde der Lechrain mit dem Landgericht Landsberg detailliert von Staatsrat v. Hazzi in seinen "Statistischen Aufschlüssen über das Herzogtum Bayern" 1802 beschrieben 7).  Joseph Friedrich Lenter hat 1852 den Lechrain ausführlich dargestellt 8). Das 1855 erschienene Werk des Carl Freiherr von Leoprechting "Aus dem Lechrain. Zur deutschen Sagen und Sittenkunde" war dann der Höhepunkt der Beschreibung des alten Bauerntums am Lechrain; sein Werk gilt

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3 Hans WELL in BFS - Capriccio Februar 2005: »Was mich sehr erschreckt hat war, daß eigentlich grad Politiker, bei denen der Trachtenanzug zur Berufskleidung zählt, ohne mit der Wimper zu zucken, diese Einrichtung aufgegeben hatten, eingestampft hatten, also das wäre denen vollkommen wurscht gewesen. Erst als der öffentliche Druck aufgekommen ist, hat man angefangen zu überlegen."

4. P. Fried,  Der Lechrain heute: Nachklang einer untergegangenen Geschichtslandschaft, in: Lechisarland 2002, 27-36; Ferdinand KRAMER, Zur Entwicklung einer Grenzregion. Der Lechrain an der bayerischen Grenze zu Schwaben, in: Wolfgang SCHMALE - Reinhard STAUBER (Hrsg.), Menschen und Grenzen in der Frühen Neuzeit, Berlin 1998, 210-228.
5 Siehe dazu FRIED/HIERETH, Historischer Atlas der Landgerichte Landsberg  und
Schongau (HAB, Altbayern Bd. 22/23) 1971. Jetzt auch online in der Bayer. Landes-
bibliothek.
6 J. G. v. LORI, Der Geschichte des Lechrains zweyter Band, Urkunden enthaltend
[1765].
7 Bd. II 152ff.
8 Joseph Friedrich LENTNER, Bavaria. Land und Leute im 19. Jahrhundert. Hg. von
Paul Ernst RATTELMÜLLER, München 1988.

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heute als ein Klassiker der deutschen Volkskunde 9). Otto Reuther hat im Goggolore eine altbayerische Volks age aus dem Lechrain aufgezeichnet, es wurde 1984 von Michael Ende zu einem Theaterstück umgesetzt 10).  Lorenz von Quaglio überlieferte in seinen Zeichnungen viele alte Bauernhäuser der Gegend 11); Wilhelm Neu hat sie zuletzt in seinen Studien über das Bauernhaus eingehend beschrieben 12). Die bäuerliche Sozialstruktur dieses Landes ist in mehreren Beiträgen erhellt worden, wobei insbesondere auf die kleinbäuerlich-handwerkliche Schicht abgehoben wurde 13). Die Geistigkeit des Lechrains drückte sich in einem eigengeprägten Dialekt aus, der vielfach Anklänge an das Südbaierische hatte 14).
In den Umwälzungen vor allem seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts ist die Lechrainer Geschichtslandschaft mit seinem alten Bauerntum fast sang- und klanglos untergegangen. Der Lechrain ist zu einer »Welt geworden, die wir verloren haben" (P. Laslet). Die ländliche Kleinbauern- und Handwerkerschicht ist so gut wie verschwunden; die größeren Bauernhöfe sind, falls sie noch selbständig bewirtschaftet werden, zu technisierten Farmbetrieben geworden. Die meisten Bauernhäuser sind modernisiert, falls nicht ganz abgerissen. Lediglich die alten Dorfkirchen erinnern noch, Mahnmälern gleich, an das alte Dorf. Auch die vom Staat betriebene »Dorfentwicklung" konnte bzw. wollte ebenso wenig dagegen etwas ausrichten wie die traditionelle Heimatpflege 15).  Mit den Neuansiedlungen sind viele Dörfer »vervorstädtert"; die Neubauten von Banken, Einkaufszentren und Schulen beherrschen neben Neusiedlungen das Dorfbild. Positiv könnte man die Entwicklung unter dem Aspekt der Modernisierung des Landes bewerten l6).  Mit dem Bewußtseinswandel sind jedoch auch Bauerndialekt und Bauernbewußtsein im Verschwinden. Man hat den Eindruck, daß die (im negativen Sinne) amerikanisierte Generation von heute nicht mehr viel von ihren bäuerlichen Vorfahren wissen will. Bei

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9 München 1844. Mehrfache Neudrucke.
10 München 1935, Neuausgabe 1963; Michael ENDE, Der Goggolori. Eine bairische Mär. Stück in achten Bildern und einem Epilog. Basel 1984.
11 Paul Ernst RATtELMÜLLER, Lorenz Quaglio. Der Schilderer oberbayerischer Bauern 1793-1869, in: Ausstellungskatalog GIentleiten 1978.
12 Wilhelm NEU, Das alte Bauernhaus im südwestlichen Oberbayern, 1963 (Schriften des Heimatpflegers von Oberbayern).
13 Pankraz FR1ED, Historisch-statistische Beiträge zur Geschichte des Kleinbauerntums (Söldnertums) im westlichen Oberbayern, in: Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in München 51,1964,5-39.
14 Martin WÖLZMÜLLER, Der Lechrainer und seine Sprache, Landsberg 1987.
15 Martin WÖLZMÜLLER, Das Dorf - ein wiedergefundener Lebensraum. Ländliche Entwicklung und Heimatpflege in Bayern (Festschrift Holger Magel z. 60. Geb.) 2004, 471-476.
16 Ferdinand KRAMER, Zur Modernisierung Bayerns. Vortrag in der Industrie- und Handelskammer 2005 .

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einer 1200-Jahrfeier in einem Lechrainer Dorf wurden die Bewohner als "Bürger und Edelleute" tituliert.
Bereits mitten im Veränderungsprozeß hat man die Totalität dieses Umbruchs geahnt und vorhergesehen. Es war dies insbesondere der Landsberger Landrat Bernhard Müller-Hahl (+ 1985), der versucht hat, mit der Gründung eines Kreisheimatmuseums in Riederau am Ammersee etwas vom Erbe dieser alten Welt für die künftige Generation zu retten. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß eines Tages dieses Museum mit überregionaler Ausstrahlung abgebaut und "deponiert" werden sollte. Erst als in der Zeitung die Nachricht vom drohenden Ende stand, wurde ich aufgeschreckt und ich kämpfte für den Erhalt des Museums. Nicht zuletzt auch deswegen, um einen wichtigen Multiplikator für Heimatgeschichte am Lechrain zu retten. Im folgenden sei meine - leider erfolglose - Denkschrift zur Rettung dieses Heimatmuseums mitgeteilt, um eine plastische Anschauung vom dem zu vermitteln, was sich heute in der bayerischen Kulturprovinz abspielt. Zugleich soll damit dem Heimatmuseum ein Denkmal gesetzt werden.

 

Denkschrift für die Erhaltung des einzigen Bauernhofmuseums des Landkreises Landsberg im denkmalgeschützten Stohrerhof zu Riederau (20. Februar 2004, überarbeitete Fassung vom 8.12.2004)
Vorbemerkung. Zunächst mag man sich fragen, wieso der Verfasser dieser Zeilen sich in seinem Alter noch für die Erhaltung eines historischen Bauernhofs einsetzt. Nun, ich bin auf einem Bauernhof geboren, erlebte dort meine Kindheit und in den Ferien meine Jugend. Leider mußte das heimatliche Bauernhaus wie so viele andere in den 60er Jahren einem Neubau weichen. Ein Stück Heimat ging für mich damals verloren. Bei meinem Mülleronkel Heinrich Welz in Walleshausen arbeitete ich schon in den 50er Jahren an dem Aufbau eines privaten Hei-matmuseums mit 17). Während meines ganzen wissenschaftlichen Lebens ließ mich die Erforschung der ländlichen Welt nicht mehr los 18). Einer meiner frühesten wissenschaftlichen Beiträge waren das Ortsverzeichnis und der Sach- [S. 151]weiser zum Buche» Wege zur Bauernhausforschung" von Torsten Gebhard 19). Als wir 1974 von München in das elterliche Anwesen meiner Frau in Heinrichshofen zogen, war es für uns eine Selbstverständlichkeit, das alte Bauernhaus zu erhalten und zu renovieren, was dann um 1990 geschah 20).  Die Beschäftigung mit dem Stohrerhof schließt also den Kreis. [........]

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17 Walleshausen. Lechrainer Heimat im oberen Paartal. Heimatkundliche Beiträge von Heinrich WELZ. Herausgegeben von Pankraz FRIED (Landsberger Geschichtsblätter 1976/7,4. Sammelband), 17-24.
18 Forschungen zur bayerischen und schwäbischen Geschichte. Ges. Beiträge von Pankraz FRIED, Sigmaringen 1997.                                                                                                            19 1957 als Heft 11 in der Reihe Bayerische Heimatforschung herausgegeben (S. 217- 231)

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Nachwort:  Der Großteil des Inventars wurde in einem eigens dafür in der Stadt Landsberg errichteten Depot gesichert. Es ist über das Landratsamt zu besichtigen.