Fried, Lechgrenze

Zur Entstehung und frühen Geschichte
der alamannisch-baierischen Stammesgrenze am Lech *                        Noch in Korrektur!


Aus: Augsburger Beiträge zur Landesgeschichte Bd. 1, 1979, 47 ff.


Vor einiger Zeit war in bayerischen - und wohl auch in baden-württembergischen -Presseberichten zu lesen, daß der Freistaat Bayern und das Land Baden-Württemberg in einem Staatsvertrag, der am 17. 11. 1977 auf der Burg Reisensburg bei Günzburg von den Ministerpräsidenten beider Länder unterzeichnet wurde, Grenzkorrekturen an der Iller, oberen Argen und am Schwarzenbachsee vereinbart haben, die sich durch Flußbe¬gradigungen als notwendig erwiesen hatten. Dabei gehen 19,2 ha Land an Bayern über, während Baden-Württemberg von Bayern 55,9 ha mit 12 Bewohnern erhält 1).
Dieser Staatsvertrag ist vorläufig der letzte in einer Reihe, die seit dem 15. Jahrhun¬dert das Herzogtum und spätere Kurfürstentum Bayern mit seinen jeweiligen westli¬chen Nachbarländern abgeschlossen hat 2. Meist waren ihnen jahrzehntelange juristische Streitigkeiten vorausgegangen. Den bislang tiefsten Eingriff bedeuteten dabei die Land¬erwerbungen Bayerns zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als der Raum zwischen Lech und Iller bayerisch und die Iller damit zum bayerischen Grenzfluß gegenüber Württemberg wurde 8. Bis dahin war der Lech die uralte Grenze des bayerischen Herzogtums im We¬sten gewesen.
Die Grenze am Lech bildete aber nicht nur Staats- und Herrschaftsgrenze, sondern auch wesentlich Stammesgrenze zwischen den Baiern und Schwaben, die bekanntlich F. L. Baumann wohl endgültig auch als Alamannen erwiesen hat 4. Eine Tatsache, die durch keinen Staatsvertrag und keine Annektion beseitigt werden konnte und die auch heute noch voll und ganz im Bewußtsein der Bevölkerung lebendig ist: im altertümli-

 

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*) Der Beitrag stellt die überarbeitete Fassung eines am 10. Dezember 1977 vor dem Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte gehaltenen Vortrags dar.
1 Vgl. Bericht in der Augsburger Allgemeinen vom 18.11. 1977, S. 4.
2 Vgl. Zusammenstellung in FRIEO/HIERETH, Historischer Atlas Landgerichte Landsberg und Schongau (HAB, Teil Altbayem H. 22/23) 1971, 16 H., 43 H.
3 Vgl. Historischer Atlas von Bayerisch-Schwaben, hrsg. v. W. ZORN, 1955, Karte 52, Text S. 50. Vor allem setzte der Pariser Staatsvertrag vom 18.5. 1810 mit Württemberg die heute noch gültige Westgrenze Bayerns fest, die das Allgäu und das Ries in einen größeren bayerischen und kleineren württembergischen Anteil zerriß und nur das Vorstadtgebiet des jetzt württember¬gischen Ulm auf dem rechten IIlerufer (später Neu-Ulm) bei Bayern beließ.
4 F. L. BAUMANN, Schwaben und Alamannen, ihre Herkunft und Identität (Forschungen z. dt. Geschichte XVI) 1876, 217 H., wieder abgedruckt in Baumanns Forschungen zur schwäbischen Geschichte, 1898, 473 H., 500 H. Vgl. K. WELLER, Geschichte des schwäbischen Stammes bis zum Untergang der Staufer, 1944.

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chen Wort »Lechrain«, der heute noch im Gebrauch ist, kommt das nachweislich seit dem 16. Jahrhundert zum Ausdruck 6. Was diese baierisch-schwäbische Stammesgrenze am Lech bis zum heutigen Tag konserviert, ist die Mundartgrenze, die der Lech zwi¬schen dem baierischen und schwäbischen Dialekt bildet. Eine Grenze, mit der sich letzt¬lich auch Unterschiede in der Mentalität und im Volkstum verbinden.
Durch die nun mehr als 170jährige Zugehörigkeit des stammesschwäbischen Landes zwischen Iller und Lech, Alpen und Donau zum Königreich und Freistaat Bayern ist die Lechgrenze als Stammesgrenze in der Literatur zurückgedrängt worden. Dies ist viel¬leicht auch der Grund, weswegen die baierisch-alamannische Stammesgrenze bis zum heutigen Tag noch keine exakte wissenschaftliche Monographie gefunden hat 6. Die bayerische Historiographie hatte seit dem 19. Jahrhundert verständlicherweise kein be¬sonderes Interesse mehr, die alte Grenze am Lech stark herauszustellen, wie umgekehrt die alamannisch-schwäbischen Nachbarländer Württemberg und Baden die napoleoni¬sche Illerlinie vielfach als »Untersuchungsgrenze« für ihre historischen Studien betrach¬teten. Einer Augsburger Landesgeschichte fällt angesichts dieser Situation eine ausgespro¬chene Brücken- und Vermittlungsfunktion zu: an der Grenze der beiden Stammesland¬schaften immer wieder zur Diskussion und Lösung kontroverser Probleme im Sinne einer vergleichenden bayerisch-schwäbisch/alamannischen Landesgeschichte beizutragen. Daß sich dabei der Raum des heutigen bayerischen Schwaben wieder stärker akzentuiert, ist eine erfreuliche Nebenwirkung 6a.
Nun ist es keinesfalls so, daß sich nicht auch die allgemeine Mittelalterforschung ein-gehend mit der Geschichte der deutschen Stämme und damit auch mit den Stammesgren¬zen beschäftigt hätte. Sie hat die bekannten, grundlegenden Werke zur Geschichte der germanischen und deutschen Stämme hervorgebracht 7. Was die Grenzen betrifft, so widmen sie sich verständlicherweise mehr der Entstehung und Entwicklung der deut¬schen Volks-, Sprach- und Reichsgrenze gegenüber fremdem Sprach- und Volkstum 8; die Erforschung von »Binnenstammesgrenzen« erschien demgegenüber nicht selten von sekundärer Bedeutung, als eine Angelegenheit der Lokal- und Heimatforschung. Nach

 

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5 Vgl. die Karte in ]OHANNES AVENTINS Bayerischer Chronik, hrsg. v. GEORG LEID IN GER, 2. Auflage der Neuausgabe 1975 (Erstdruck 1926).
6 Der große Ansatz Johann Georg v. Loris, des Begründers der Bayerischen Akademie der Wis-senschaften in seiner »Geschichte des Lechrains, zweyter Band, Urkunden enthaltend« (1765), ist unvollendet geblieben, ebenso auch das Regestenwerk seines Fortsetzers JOSEPH FRHR. V. HOR-MAYR-HoRTENBURG, Die goldene. Chronik von Hohenschwangau, der Burg der Welfen, der HochenstauHen und der Scheyren, 1842.
6a P. FRIED, Traditionen bayerisch-schwäbischer Landesgeschichtsforschung (ZBLG 40) 1977, 625-639.
7 Vgl. GEBHARDT/GRUNDMANN, Handbuch der dt. Geschichte, I. Bd. 9. Aufl. Nd. 1973, 92 H., 701 H.; L. SCHMIDT, Gesch. der deutschen Stämme bis zum Ausgang der Völkerwanderung. Die Westgermanen 11, 21940.
8 Z. B. P. KIRN, Politische Geschichte der deutschen Grenzen, 4. verb. Aufl. 1958; H. AUBIN, Das Deutsche Volk in seinen Stämmen, Neudr. in: Von Raum und Grenzen des deutschen Vol¬kes, 1938; H.- J. KARP, Grenzen in Ostmitteleuropa während des Mittelalters. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Grenzlinie aus dem Grenzsaum (Forschungen und Quellen zur Kir¬chen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 9) 1972.

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den romantisch-deutschnationalen Übersteigerungen des 19. und 20. Jahrhunderts, denen wir aber zweifellos eine enorme Bereicherung unseres Wissens verdanken, ist jedoch seit dem 2. Weltkrieg gegenüber diesen Problemen eine gewisse Ernüchterung und Zurück-haltung festzustellen. Unter Rezipierung ethnosoziologischer Kategorien hat 1961 erst-mals wieder Reinhard Wenskus versucht, in seinem Werk über Stammesbildung und Verfassung die Akzente mehr auf Herrschaft und Politik als auf Volksgeist und Rasse zu setzen 9. Wenskus macht auf den Umstand aufmerksam, daß der Stamm als Sied-lungsgemeinschaft seiner ursprünglichen Natur nach zwar ein Personenverband ist, die¬ser aber schon in germanischer Zeit Grenzen haben konnte. Er verweist dabei auf die Tatsache, daß auch dem früh- und hochmittelalterlichen Stamm ein Territorium, ein »Land« eignet und deswegen Grenzen hat, was bereits von Otto Brunner und Walter Schlesinger in Auseinandersetzung in dem von Theodor Mayer geprägten Begriffspaar vom »aristokratischen Personenverbands- und institutionalisierten Flächenstaat« festge-stellt wurde 10. Wenskus nimmt unter dem Abschnitt »Der Stamm als Siedlungsgemein-schaft« zum Problem der Stammesgrenze im einzelnen folgendermaßen Stellung 11: »Die Versuche, Stammesgebiete kartographisch festzulegen, gehen gewöhnlich von der Vor-aussetzung aus, daß der Stamm eine Siedlungsgemeinschaft ist. Das scheint selbstver-ständlich, ist aber nur unter bestimmten Voraussetzungen richtig. Es ist immer im Auge zu behalten, daß der Stamm an sich ein Personalverband ist. Daher rührt es ja, daß die Ländernamen vielfach aus Völkernamen zu erklären und daß gerade in unserem Bereich oft der Stammesname oder eine Ableitung von ihm das Stammesgebiet mitbezeichnen. Andererseits ist aus Cäsar und Tacitus bekannt, daß die Gebiete der germanischen Völ-kerschaften von Ödmarken und Wasserläufen begrenzt waren« 12. Bei ihrer Seßhaftwer-dung und Einbeziehung in größere Herrschaftseinheiten boten sich Flußläufe und Wald-gebiete in verstärktem Maß für die Grenzmarkierung an. Daß aber Flüsse gerade für die Siedlung - ebenso wie die Gebirgskämme - kein Hindernis bedeuteten, ist dabei nicht zu übersehen. Ebenso können ursprüngliche, meist waldbestandene Grenzsäume durch Rodung allmählich zu einer Grenzlinie werden, ein Vorgang, der ins besonders bei klei-neren (Grund-) Herrschaften (= marcae, »march«) zu beobachten ist. Darauf hat vor al-lem die Siedlungsgeschichte hingewiesen, die die ursprünglichen Siedlungs räume und ihre Abgrenzung gegenüber Wald- und ödland zu ergründen versucht.
Es sind heute weniger diese allgemeinen verfassungsgeschichtlichen Probleme als viel-mehr die Ergebnisse der Prähistorie und Archäologie, die nach einer »stammesgeschicht-lichen« Erklärung für ihre Befunde von der Geschichtswissenschaft verlangen. Die Dis-kussion um die ethnische Zuordnung frühgeschichtlicher Fundkomplexe ist in vollem Gange; das Problem der historischen Kontinuität schiebt sich dabei von selbst in den

 

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9 R. WENSKUS, Stammesbildung und Verfassung. Die Entstehung der frühmittelalterlichen gen¬tes, 1961.
10. Vgl. O. BRUNNER, Land und Herrschaft, 3. Auflage 1943, S. 521; W. SCHLES1NGER, Herr¬schaft und Gefolgschaft in der germanisch-deutschen Verfassungsgeschichte (Wege der For¬schung 11) 1972 (1. Auflage 1953). Zur Forschungskontroverse vgl. Literatur bei WENSKUS, Stam¬mesbildung, S. 48 Anmerkung 227.
11 Wenskus, Stammesbildung 44.
12 Vgl. auch S. 102 im Register »Grenze« bzw. ,.Sprachgrenze«.

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Mittelpunkt. Wie fruchtbar heute die Begegnung von Prähistorie und landesgeschichtlich orientierter Mediävistik ist, das haben die letzten beiden Reichenau-Tagungen zu diesem Thema gezeigt 13.
Sodann ist es die deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft, die sich immer wieder von ihrem Forschungsgegenstand her, insbesondere der Mundartforschung, mit Stammes-geschichte zu befassen hat 14. Auch sie hat bahnbrechende Leistungen aufzuweisen, erin-nert sei nur an den Deutschen Sprachatlas, der für unsere Thematik am einschlägigsten ist. Die neuere Forschung neigt indes nicht dazu, der vorschnellen Gleichsetzung von Sprach- und Mundartgrenzen mit Stammesgrenzen zuzustimmen. Es konnte nachgewie-sen werden, daß unterschiedliche Sprachmerkmale ihren Ursprung vielfach erst in der hoch- und spätmittelalterlichen Territorienwelt haben. Zuletzt ist allerdings eine Ten¬denz zu erkennen, dem Stamm bzw. frühen herrschaftsräumlichen Verhältnissen wieder eine größere Rolle in der Mundartbildung zuzubilligen, allerdings in einer sehr differen¬zierten Weise 15. Die Identifizierung von Mundart und Volkstum, die lange gegolten hat, ist heute gleichfalls nicht mehr selbstverständlich. Daß bei der Dialektologie der Er¬mittlung von genauen Grenzlinien, Grenzbündeln und Grenzsäumen eine große Bedeu¬tung zukommt, braucht nicht eigens betont zu werden.
Unter dem Einfluß moderner soziologischer und wirtschaftstheoretischer Fragestel-lungen und als Auswirkung der ideologischen Obersteigerung geopolitischer Faktoren hat sich die Geographie heute stark vom historischen Bereich zurückgezogen. Gleich¬wohl gebührt der kulturhistorischen Schule der Geographie das Verdienst, von den »na¬türlichen Grenzen« ausgehend sich auch mit den Problemen der »künstlichen Grenzen« befaßt zu haben 16. Der Einfluß der Geographie war es schließlich, der in Kombination mit anderen Fächern zur Ausbildung der »Geschichtlichen Landeskunde~ oder »jüngeren Landesgeschichte« in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts wesentlich beigetragen hat, einer Forschungsrichtung, die vor allem dann in Bonn in der Zusammenarbeit von Historikern, Geographen, Archäologen und Volkskundlern unter Hermann Aubin, Franz Petri und Franz Steinbach eine erste Blüte erfahren hat 17. In ihrem Rahmen ent-

 

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13 Protokolle Nr. 208 und 213 der Arbeitstagungen vom 5.-8.10.1976 bzw. 29.3.-1. 4.1977 »Von der Spätantike zum frühen Mittelalter«. Aktuelle Probleme in historischer und archäologi¬scher Sicht, I: Noricum und Raetia I; 11: Germania I (Neuwieder Becken und Moselmündung), Maxima Sequanorum (Oberrhein und Nordburgund).
14 Vgl. H. MAlER, 1945-1977: Wandlungen eines Faches. Zur Eröffnung des Germanistentages 1977 (Schulreport 1977 Heft 5) 1 ff.
15 R. SCHÜTZEICHEL, Mundart, Urkundensprache und Schriftsprache (Rheinisches Archiv 54) 21974; W. KÖNIG, dtv-Atlas z. dt. Sprache, 1978.
16 Historische Raumforschung; Forschungs- und Sitzungsberichte der Akademie für Raumfor¬schung und Landesplanung Bd. VI, X, XV, XXI, XXX, XXXIX, 1956-1967; H. JÄGER, Histo¬rische Geographie (Das Geogr. Seminar, hrsg. v. Fels, Weigt u. Wilhelmy) 1969; H. HASSINGER, Die geographischen Grundlagen der Geschichte, 31953. Eine besondere Rolle spielte das Grenz¬problem in der sog. »Geopolitik«; vgl. P. SCHÖLLER, Wege und Irrwege der politischen Geogra¬phie und Geschichte (Erdkunde 1957).
17 Vgl. Probleme und Methoden der Landesgeschichte, hrsg. v. P. FRIED (Wege der Forschung Bd. 492) 1978; A. v. HOFMANN, Das Deutsche Land und die deutsche Geschichte, 3 Bde. 1930; F. STEINBACH, Studien zur westdeutschen Stammes- und Volks geschichte, 1962.

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standen dann die großen landesgeschichtlichen Atlaswerke, die sich mit dem Phänomen der »Grenze« in all ihren Schattierungen eingehend befassen 18.
Auch der Volkskunde, die sich einst aus der Germanistik als eigene Disziplin zur Er-forschung des deutschen und stammlichen Volkstums ausgesondert und gerade im Atlas der deutschen Volkskunde Bahnbrechendes geleistet hat, fehlt heute der aktuelle Impuls, sich erneut mit Fragen der Volks- und Stammesbildung zu befassen. Sie weicht zuse¬hends unter dem Einfluß soziologischer Ideen auf die Beschäftigung mit der sogenannten »europäischen Ethnologie« aus, wobei es noch heftige Diskussionen darüber gibt, was ih-ren eigentlichen Inhalt ausmacht 19.
Ziehen wir das Fazit aus diesem wissenschaftlichen »tour d'horizont« und versuchen daraus die aktuelle wissenschaftstheoretische Problematik und inhaltliche Problemstel-lung für eine zunächst sehr begrenzt anmutende stammesgeschichtliche Grenzbetrach-tung am Lech zu finden:
a) Die Untersuchung historischer Stammesgrenzen hat einmal im interdisziplinären Ansatz, also im Zusammenwirken verschiedener Fachdisziplinen und Methoden zu erfol-gen, deren Ergebnisse - gerade auch widersprüchliche! - zu kontrastieren und zu kombinieren sind.
b) Zum anderen besteht die Aufgabe, Entstehung und Geschichte einer Stammesgren-ze aus ihrer jeweiligen konkreten historischen Situation und Funktion heraus dynamisch und differenziert zu betrachten.


Wenden wir uns unter dieser Sicht der Entstehung der alamannisch-baierischen Stammesgrenze im Früh- und Hochmittelalter zu, die sich im wesentlichen mit dem Lauf des Lechs von der Dreistammesecke am Hesselberg 20 bis zur Silvretta deckt; die Ver-hältnisse im Vintschgau 21 ebenso wie auch am Hesselberg müssen des zeitlichen Rah-mens wegen dabei außer Betracht bleiben. Daß diese Grenze nicht immer die gebührende Aufmerksamkeit gefunden hat, seitdem sie nicht mehr bayerische Staatsgrenze ist, wurde bereits erwähnt; auch ist angeklungen, daß sie als »Binnenstammesgrenze« eine Grenze »zweiter« Ordnung im Vergleich zu nationalen Volkstums grenzen darstellt. Dies besagt aber nicht, daß sie gänzlich ohne Beachtung geblieben ist. Die Durchsicht der Literatur zur Stammesgeschichte zeigt, daß die Lechgrenze so gut wie in allen Studien, die sich mit der Geschichte des alamannischen und baierischen Raumes befassen, Erwähnung fin¬det, angefangen von der einfachen Apostrophierung bis hin zum ausführlichen wissen-

 

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18 Vgl. G. FRANZ, Historische Kartographie, 2. Aufl. 1962.
19 Vgl. Bayer. Blätter für Volkskunde, hrsg. v. W. BRÜCKNER und L. KRlss-RETTENBECK, Jgg. 1 H. 1974 H.
20 A. GABLER, Die alemannische und fränkische Besiedelung der Hesselberglandschaft. (Vö. d. SFG, Reihe 1 Bd.4) 1961; E. NÜBLING, Die »Dreistammesecke« in Bayern in sprachlicher und geschichtlicher Betrachtung (Zeitschr. d. hist. Vereins f. Schwaben und Neuburg 53) 1938, 185-299; DERs., Die Dreistammesecke in Bayern (Zeitschr. Schwabenland) 1939,47-79.
21 F. DÖRRER, Bistümer und Bistumsgrenzen im Umkreis des Reschen (Jb. d. Südtiroler Kulturinstituts Bd. V/VI/VII) 1965/67, 251-274; Bayer. Geschichtsatlas, hrsg. v. M. SPINDLER, 1969, Karte 14, Text S. 70; B. BILGERI, Geschichte des Vorarlbergs Bd. I, 2. Aufl. 1971, Karte S.61.

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schaftlichen Exkurs 22, Ein besonderer Impuls zu ihrer Beschäftigung ging und geht da¬bei immer wieder von der Frage nach der ungelösten Herkunft des baierischen Stammes und der Struktur des frühen baierischen Stammesherzogtums im 6. und 7. Jahrhundert aus 23, Im Gegensatz zur Mundartgrenze hat jedoch, wie bereits ausgeführt, die Entste¬hung der historisch-politischen Stammesgrenze am Lech bis jetzt noch keine eigene Dar¬stellung erfahren. Die Studie von Ernst Klebel über »Kirchliche und weltliche Grenzen in Baiern« 24 und die Karten im Bayerischen Geschichtsatlas 25 und im Historischen At¬las von Bayerisch-Schwaben 25a sind immer noch die wertvollsten Vorarbeiten, zu denen vielleicht meine eigenen Bemühungen im Rahmen der Bearbeitung der bayerischen Grenzgerichte Landsberg und Schongau im Historischen Atlas von Bayern zu rechnen sind 26,
Die Ansichten über Entstehung und frühen VerIauf der Lechgrenze sind, um es vor-weg zu sagen, ebenso vielfältig wie gegensätzlich, was angesichts der dürftigen Quellen-lage nicht verwundert. Doch hat sich die »Lechlinie« allgemein als Grenze durchgesetzt, wie der Blick in unsere historischen Welt- und Regionalatlanten zeigt, die nur geringfü¬gig voneinander abweichen, vor allem, was das Gebiet südöstlich von Augsburg betrifft, worauf wir zurückkommen. In Kenntnis dieser Literatur und ihrer Kontroversen, aber ohne diese im einzelnen allzusehr auszubreiten, sei im folgenden versucht, die Probleme der Entstehung und Frühgeschichte der alamannisch-baierischen Stammesgrenze unter folgenden zwei Gesichtspunkten abzuhandeln, wobei hier nur die wichtigsten grenzbezo-genen Probleme berücksichtigt werden können, um nicht in eine Erörterung der Ge-schichte der »begrenzten« Räume, Stämme und Institutionen auszuufern:
1) Die alamannisch-baierische Grenze als politische Grenze (Herrschaftsgrenze).
2) Die alamannisch-baierische Grenze als Mundart-, Siedlungs- und Volkstums grenze.
Zusammenfassend soll thesenhaft die historische Funktion der baierisch-alamanni-sehen Stammesgrenze am Lech im Früh- und Hochmittelalter als Ergebnis vorgestellt werden.
1. Die Stammesgrenze als politische Grenze (Herrschaftsgrenze)
Die Frage, ob sich die Stammesgrenze aus einer siedlungsmäßigen oder herrschaft¬lich-politischen Grenzziehung oder aus beidem entwickelt hat, sei zunächst offen gelas¬sen. Wir befragen einfach die vorhandenen schriftlichen Quellen, was sie unmittelbar über Entstehung und Frühgeschichte der alamannisch-baierischen Grenze auszusagen vermögen.

 

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22 Beispielsweise bei E. v. OEFELE, Zur Geschichte des Hausengaues (Oberbayer. Archiv 32) 1872, 1 H.; HEIGEL/RIEZLER, Das Herzogtum Baiern zur Zeit Heinrichs des Löwen, 1867, 192 H. 23 Vgl. zuletzt A. KRAUS, Die Herkunft der Bajuwaren, in diesem Band S. 27 H.
24 Erstmals erschienen 1939, abgedruckt in Schriftenreihe z. bayer. Landesgeschichte Bd.57, 1957, 184-256.
25 lnsbesonders Karte Nr. 14 und 15.
25a lnsbesonders Karte Nr. 9 von E. Nübling. 26 Siehe Anmerkung 2.

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Die Hauptquelle für die Ansicht, daß bereits im 6. Jahrhundert am Lech die Grenze zwischen Baiern und Alamannen gewesen sei, bildet das Werk des italienischen Hagio-graphen und späteren Bischofs von Poitiers, Venantius Fortunatus (t nach 600). In der Vorrede zur Sammlung seiner Gedichte, die etwa um 576 entstanden sind, heißt es: » ... Drauum Norico, Oenum Breonis, Liccam Baiuuaria, Danuvium Alemannia, Rhe¬num Germania transiens ... « 27. übersetzt: » ... während ich die Drau in Noricum, den Inn im Breonenland, den Lech in Baiern, die Donau in Alamannien, den Rhein in Ger¬manien überschritt ... [schrieb ich die Gedichte].« Daraus hat man nicht nur den Schluß gezogen, daß um 565, als Fortunatus seine Reise machte, der Lech schon die Grenze Bai¬erns gegenüber den Alamannen gewesen sei, sondern daß auch das Land links, also west¬lich des Lechs, bis etwa zur Iller hin, bereits baierisch gewesen sei 28. Jedoch hat schon Hans Zeiß 1927/28 empfohlen, diese Stelle nicht zu pressen; »keinesfalls wäre sie ein Zeugnis für ein übergreifen der Bayern auf das linke Lechufer« 29. Die bekanntere Stel¬le aus der Vita Sancti Martini, die der Dichter zwischen 573 und 576 verfaßte, ist dieje¬nige, in der er bei einer Reisebeschreibung den Kult der hl. Afra um 565 in Augsburg er¬wähnt und dann fortfährt: » ... Si vacat ire viam neque te Baiuvarius obstat, qua vicina sedent Breonum loca, perge per Alpem, ingrediens rapido qua gurgite volvitur Aenus« 29&. übersetzt: » ... wenn die Straße offen ist, und dir nicht der Baier entgegen¬tritt, so ziehe dort durch das Gebirge, wo in der Nähe die Orte der Breonen liegen; du betrittst es, wo der Inn sich in reißendem Strudel dahinwälzt.« Aus dieser Stelle, in der übrigens zum ersten Mal der »Baier« personal erwähnt ist, wird allgemein der Schluß gezogen, daß damals die baierische Orts grenze bereits der Lech war. Da als nächste Sta¬tion der Reisebeschreibung die gnadenreiche Kirche des hl. Valentin (zu Mais bei Bozen) genannt ist, nahm seinerzeit Hermann Wopfner an, daß der Ausdruck "per Alpem« sich auf die Straße über den Fernpaß beziehen müsse. Demnach wäre die alte Via Claudia längs und westlich des Lechs die Reiseroute gewesen. Doch ist es auch möglich, daß die Brennerstraße gemeint ist, die seit dem 2. Jahrhundert von Augsburg dem Ammersee entlang, also östlich des Lechs über Partenkirchen und Wilten über den Brennerpaß nach Italien führte.
Der Umstand, daß Venantius Fortunatus die Baiern als Leute charakterisiert, die eventuell dem frommen Pilger im Wege stehen, weist darauf hin, daß sie damals schon daran waren, nach Westen auszugreifen, wenn man eine Herkunft aus dem Osten an-nimmt. Ob daraus der Schluß gezogen werden kann, daß Venantius die Baiern bei ihrem ersten Auftreten als »ein Volk von Straßenräubern« schildert, wie dies zuletzt (1974) in einer Quellensammlung zur bayerischen Geschichte geschehen ist, sei dem hier vielleicht

 

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27 MG Auct. Antiqu. 4,2.
28 J. ZIBERMAYR, Noricum, Baiern und österreich. Lorch als Hauptstadt und die Einführung des Christentums, 1944/21956, 75, 77, 93, 176 u. a.
29 Bayer. Vorgeschichtsfreund I/I1, 1922/23, 42. Dagegen E. KLEBEL, Bayern u. der fränkische Adel im 8. u. 9. Jh. (Vorträge und Forschungen Bd.1, 1952, S. 207 f.), der eine bajuwarische Besiedelung bzw. Beherrschung des Raumes bis zur IIler zwischen 560 und 743 annimmt.
29a MG Auct. Antiqu. 4,368.

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objektiver urteilenden Nichtbayern zur weiteren Interpretation und Diskussion an heim gestellt 80.
Die erste eindeutige Nachricht, daß der Lech die Grenze zwischen Baiern und Ala¬mannien bildet, liefern uns die Berichte über die kriegerischen Unternehmungen Karls des Großen gegen Herzog Tassilo III. von Bayern für das Jahr 78781• Sein Biograph Einhard schreibt, daß Karl »copiis undique contractis Baioariam petiturus, ipse ad Le¬chum cum magno venit exercitu. Is fluvius Baioarios ab Alemannis dividit. Cuius in ripa castris conlocatis ... « In den Annalen Einhards heißt es zum gleichen Vorgang: » ••• ipse cum exercitu, quem secum duxerat, super Lechum fluvium, qui Alemannos et Baioarios dirimit, in Auqustae civitatis suburbano consedit ... «
Der Lech ist also hier ausdrücklich als Grenze zwischen den Baiern und Alamannen bezeichnet; die Lechlinie und speziell Augsburg sind auch für Karl d. Gr. der Ausgangs¬punkt für kriegerische Invasionen nach Bayern gewesen. Dies war bereits 743 der Fall, als Pippin und Karlmann dem Baiernherzog Odilo am Lech eine Niederlage beibrach¬ten 82: » ... venientes super fluvium, qui dicitur Lech, sederunt super ripam fluminis uterque exercitus ... «.
Für das Jahr 910 berichtet Liudprand v. Cremona: »Iamiam rex Hulodoicus collecta multitudine Augustam venerat, quae est in Suevorum, Bagoariorum seu orientalium Franeorum confinio civitas ... « 88. Wie sich die militärische Situation an der »Lech¬linie« noch vier Jahrhunderte später, wenn auch rollenvertauscht, gleicht, zeigt die nächst vorhandene Quelle aus dem 12. Jahrhundert. Diesmal, 1139, ist vom Aufmarsch des Baiernherzogs gegen den König in Richtung Alamannien berichtet: »Leopoldus marchio, suscepto a rege ducato Norico, ... collecta milite copiosa, totam Baioariam pertransiens, in ipso eius termino iuxta Licum fluvium contra urbem Augustensem negocia terre per triduum tractans strenui judicis officium ecercuit« 84. Otto von Freising berichtet weiter für das Jahr 1153 von Heinrich dem Löwen: »Princeps de Saxonia per Alemanniam transiens ... in campania Lici fluminis, termino Baioariae, contra civitatem Augusten-sem ... militem in Italiam iturus collegit« 85. Darüber hinaus liegen noch weitere topo¬graphische Belege vor: Das unmittelbar am rechten Lechufer gelegene Waltenhofen (frü¬her Landgericht Schongau) wird im Weingartner Traditionscodex mit dem Beisatze »in Bavaria« aufgeführt, dagegen das unweit vom linken Lechufer gelegene Mertingen (frü¬her Landgericht Donauwörth) in einer Urkunde Heinrichs V. mit dem Zusatze »in pro¬vincia Suevae« 88 versehen. Graf Mangold von Donauwörth, dessen Güter im 12. Jahr-

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30 Dokumente zur Geschichte von 5taat und Gesellschaft in Bayern. Im Auftrag der Kommis¬sion für bayer. Landesgeschichte bei der Bayer. Akademie der Wissenschaften hrsg. v. K. BOSL, Abt. I: Altbayern vom Frühmittelalter bis 1800. Bd. 1: Altbayern bis 1180, bearb. v. K.-L. Ay, 1974,42.
31 Einhardi Vita Caroli Magni, MG 55 11, 449; Annales MG 55 I, 173, vg!. B. EBERL, Die Un-garnschlacht auf dem Lechfeld (Gunzenl&) im Jahre 955, 1955, 150 Anm. 50 u. 51.
32 MG 55 rer. Mer. 11, 180; Contin. Fredegar u. a.; vg!. B. EBERL, Lechfeld 150 Anm. 44. 33 MG 55 rer. Germ. Liudprandi Antapodosis Lib. 11, 37; frd!. Mitt!. v. Dr. G. Kreuzer. 34 Otto von Freising, MG 55 XX, 261 H.; EBERL, Lechfeld 145, A. 139.
35 MG 55 XX, 395, EBERL, Lechfeld 156 Anm. 141.
36 Regesta Boica I, 113; HEIGEL/RIEZLER, Herzogtum Baiern, 192 f.

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hundert vor allem im Gebiet der früheren Landgerichte Donauwörth, Höchstädt, Mon-heim und Nördlingen lagen, wird einmal »nobilis vir Suevie« genannt 37.
Ferner haben wir aus dem 12. Jahrhundert noch Belege für die Gültigkeit eines baie-rischen bzw. alamannischen Stammesrechts in Orten des Grenzgebiets: In »Tegesingen« (Dasing) erfolgte eine Gutsschenkung »Noricorum lege ultra Licum« an das Augs¬burger Kloster St. Ulrich und Afra 38, während umgekehrt die Lehensauftragung eines Gutes im schwäbischen Ostendorf »iure Suevorum« an das östlich des Lechs, im Bayerischen gelegenen Klosters Polling vorgenommen wurde 30. Die Frage, ob die öst¬lich des Lechs gelegenen zahlreichen Herrschaften und Güter Welfs VI. (t 1191) vom baierischen Stammesherzogtum eximiert waren, hat seinerzeit Riezler eingehend abge¬handelt. Er ist zum Schluß gekommen, daß dies wahrscheinlich nicht der Fall war 40. Augsburg selbst ist schließlich mehrmals im 12. Jahrhundert als »celebris civitas«, ja so¬gar einmal als »metropolis Suevie« bezeugt 41. Im 13. Jahrhundert (für 1235) ist sie des Kaisers Stadt und ständige Bleibe »in Alemanniam« 42. 1158 nennt sie Otto von Freising antikisierend, wie bereits vor ihm Widukind, »Rhaetiae civitas« 43.
Die Tatsache, daß im 13. Jahrhundert der Lech auch zur Grenze des wittelsbachi¬schen Landesfürstentums wird, die Stammesgrenze im großen und ganzen als Territo¬rialgrenze weiterbesteht, kann hier nur angedeutet, aber nicht weiter verfolgt werden. Entscheidend hierfür war der Anfall des Andechser Besitzes 1248, vor allem aber dann des sog. konradinischen Erbes am Lechrain 1268 an die Wittelsbacher, das sie auch zu Herrschaftsinhabern im Gebiet westlich des Lechs werden ließ, wie beispielsweise in Lauingen, Höchstädt, Donauwörth, Schongau und in den »schwabseits« gelegenen Orten des Landgerichts Landsberg 44.
Wir haben die Quellen über die Stammesgrenze deswegen so ausführlich, vielleicht ermüdend ausgebreitet, weil ihre Aussage seit dem 6., zumindest jedoch seit dem 8. Jahr-hundert von seltener Eindeutigkeit ist. Die politische Stammesgrenze ist deswegen im Bayerischen Geschichtsatlas für 788 zu Recht am Lech eingezeichnet 44a. Diese klare Sprache der Quellen sollte auch bei der wissenschaftlichen Kontroverse zwischen Prinz und Kraus, die derzeit in den »Blättern für deutsche Landesgeschichte« über die innere Struktur des bayerischen Herzogtums in der Frühzeit ausgetragen wird, nicht außer acht gelassen werden. Auch wenn zuzugeben ist, daß der Westen Baierns bis zum Lech hin mehr die Domäne von bisweilen frankophilen Hochadelsgeschlechtern wie z. B. der Huosi war, so ist nicht zu übersehen, daß diese nur mit Zustimmung des Baiernherzogs Güterveränderungen vornehmen konnten. Auch die legendäre Beteiligung Herzog Tassi-

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37 Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte, Alte Folge 1, 300. 38 MB 22, 29 f.
39 MB 10,22 f., vgl. OEFELE, Hausengau (wie Anm. 22). 40 HEIGEL/RIEZLER, Herzogtum Baiern, 193 H.
41 EBERL, Lechfeld 158 f. Anm. 164; Ekkehardi Chron. ad. a. 1107, MG 55 VI, 241. 42 EBERL, Lechfeld 159 Anm. 185.
43 MG 55 XX, 427; EBERL, Lechfeld 156 Anm. 142; MG 55 rer. Germ. V, 110; EBERL, Lech¬feld, 154 Anm. 93.
44 Vgl. Historischer Atlas Landgerichte Landsberg und Schongau (wie Anm. 2). 44a Karte Nr. 14.


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[56] -los III. an der Gründung der am östlichen (bayer ischen) Lechrain gelegenen Klöster Pol¬ling, Wessobrunn und Thierhaupten hat im Lichte unserer Quellen einen größeren Grad an Wahrscheinlichkeit.
Von der herrschaftlich-politischen Situation her gesehen ist es auffällig, daß für die frühen Jahrhunderte keine Nachrichten über irgendwie geartete kriegerische Auseinan-dersetzungen zwischen Baiern und Alamannen vorliegen. Die alamannischen Herzöge treten kaum im Raum zwischen Iller und Lech auf: die Gründe hierfür liegen auf der Hand und brauchen nicht ausgeführt zu werden. Für das 8. Jahrhundert hat E. Klebel hingegen enge verwandtschaftliche Beziehungen der Herzogshäuser beider Stämme nach¬gewiesen. Dieser Befund, der nicht nur eine zufällige Quellenlücke darstellt, gibt zu wei¬teren überlegungen Anlaß. Wir haben im 8. Jahrhundert, wie bereits ausgeführt, Quel-len, die von Auseinandersetzungen zwischen Franken und Baiern am Lech berichten. Daß der alamannische Raum von Anfang an keine herrschaftliche Einheit war - es gab immer mehrere Herzöge - und unter stärkerem fränkischen Einfluß als der baierische stand, hat zuletzt die Dissertation von B. Behr mindestens als Hypothese nochmals auf¬gezeigt 45. Beschränken wir uns auf den alamannischen Grenzraum gegenüber Baiern: hier wissen wir aus Andeutungen späterer Quellen, daß König Dagobert 1. zu Beginn des 7. Jahrhunderts an der Neu- oder Wiederbegründung der Augsburger Bischofskirche be¬teiligt gewesen sein muß. Die jüngsten, von Joachim Werner ausgewerteten Ausgrabun¬gen bei St. Ulrich und Afra zu Augsburg stellen für die Zeit um 700 den fränkisch-bur¬gundisehen Einfluß einwandfrei unter Beweis 48. Ob es schon von Anfang an, also seit der Ausdehnung der fränkischen Herrschaft über die Alamannen, so etwas wie eine be¬wußte »staatsfränkische Kolonisation« insbesonders im Raum zwischen Iller und Lech, gegeben hat, - so wie sie Richard Dertsch aufgrund der Ortsnamendeutung für den Kaufbeurer Raum im 8. Jahrhundert nachweist - ist eine Spekulation, der eine gewisse Berechtigung nicht abgesprochen werden kann 47. Es hat in vielem den Anschein, daß die Lechgrenze bis zum 8. Jahrhundert politisch eher eine »fränkische« Grenze zwischen dem mehr unter fränkischer Oberhoheit stehenden alamannischen Raum und dem relativ selbständig oder nur in lockerer Abhängigkeit von den Franken befindlichen baierischen Herzogtum gewesen ist. Diese Ansicht wird übrigens auch neuerdings von der Mundart¬forschung her gestützt, die von frühen »Frankonisierungsvorgängen« im Alamannischen spricht - wir werden unten noch darauf zurückkommen.
Damit ist auch ein Hinweis für die Frage nach der Entstehung der herrschaftlich-po-litischen Stammesgrenze überhaupt gegeben, von der. wir aber immerhin wissen, daß sie kaum vor 500 entstanden sein kann. Meines Erachtens ist es nicht ausgeschlossen, daß im Zusammenhang mit der Aufnahme der geschlagenen Alamannen durch Theoderich in das raetische Gebiet seit 500 - und der vielleicht gleichzeitig vor sich gehenden Ansied¬lung der Baiovarii = Leute aus Böhmen - der Lech als Grenze ausgewiesen wurde. Das östlich des Lechs gelegene Gebiet der Raetia Secunda wäre damit den »Baiern« zugeteilt

 

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45 B. BEHR, Das alemannische Herzogtum bis 780, 1975.
46 J. WERNER, (Hrsg.) Die Ausgrabungen in St. Ulrich u. Afra in Augsburg 1961-1968, 2 Bde. 1977, und VOLKERT-ZOEPFL, Die Regesten der Bischöfe und des Domkapitels von Augsburg I, 1955,11.
47 R. DERTscH, Historisches Ortsnamenbuch v. Bayern, Landkreis Kaufbeuren, 1960.

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worden, als deren Kernraum ja noch im Hochmittelalter das Land der ehemaligen Pro-vinz Noricum angesehen wurde 48. Daß in spätrömischer Zeit mit derartigen Grenzzie-hungen zu rechnen ist, zeigt beispielsweise der Bericht von Jordanes in seiner Romana (um 551) für das Jahr 217: »Die Markomannen wurden in jenem Valeria, das zwischen Drau und Donau liegt, von dem gleichen Führer damals geschlagen und die Grenzen zwischen Römern und Barbaren ab Augsburg (Augusta Vindelicas) durch Noricum und Mösien festgelegt« 49. Es ist allerdings auch daran zu denken, daß die Grenzziehung erst unter fränkischer Herrschaft seit etwa 537 erfolgt sein könnte, wobei bereits an das stra-tegische Moment der Paßsicherung (Brenner- bzw. Fern-, Reschen/Scheidegg-Paß) nach Italien zu denken wäre. König Theudebert I. griff ja damals mit seinen Herrschaftsan-sprüchen bis nach Pannonien aus, wenn wir seinem Brief an den oströmischen Kaiser Glauben schenken dürfen.
Dieser Ansicht, wie überhaupt der Auffassung vom Lech als früher Grenze zwischen Baiern und Alamannen, widerspricht nun am stärksten der Verlauf der Augsburger Bistumsgrenze, die weit über den Lech nach Nord- und Südosten lappenförmig vor¬springt, nur in der Mitte vom Freisinger Bistumsgebiet etwas eingeschnürt 60. Sie verläuft nachweislich seit 1500, wie die Karte 26/27 von G. Diepolder im Bayerischen Geschichts-atlas zeigt, entlang einer Linie von Ingolstadt südlich bis in die Nähe von Altomünster,¬wo die Freisinger Diözese am weitesten nach Westen ausgreift -, um von hier aus wie¬der über den Starnberger See zur oberen Isar und Loisach weit östlich in den bayer ischen Raum vorzustoßen, die ehemaligen Klöster Benediktbeuern, Habach, Wörth im Staffel¬see, Polling der Diözese Augsburg zuteilend, ebenso das in der Ungarnzeit untergegange¬ne Kloster Sandau bei Landsberg, dessen karolingische Grundmauern in diesem Jahre (1977) ausgegraben wurden. Freisingische Enklaven sind das Stift Scharnitz-Schlehdorf und zum Teil auch das Archidiakonat Rottenbuch.
Kirchliche Verwaltungsgrenzen haben die Forschung deswegen intensiv beschäftigt, weil man glaubte, daß sie ein hohes Alter aufweisen und bisweilen ältere weltliche Grenz-ziehungen, an die sie sich angelehnt haben, bewahrt haben. Im Falle von Augsburg spielt dabei nach E. Klebel die Frage nach der Fortdauer eines spätrömischen Bistums, seine Missionstätigkeit auf baierischem Boden und das Problem der ursprünglichen Grenzzie-hung zwischen Alamannen und Baiern eine wichtige Rolle 61. K. Reindel hat zuletzt für die baierischen Bistümer die Feststellung getroffen, daß ,.von der kirchlichen Organisa¬tion der römischen Provinzen Noricum und Raetien zu der des mittelalterlichen Her¬zogtums Bayern kein Weg führt« 62. Was Augsburg betrifft, so läßt sich seiner Meinung nach ein spätrömisches Bistum nicht eindeutig nachweisen, doch machen ,.Größe und Be¬deutung der Provinzhauptstadt der Raetia secunda, die frühchristliche Taufanlage süd¬lich des Doms und die Entdeckung einer frühchristlichen Basilika unter der St. Gallus-

 

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48 Vgl. zum Ganzen K. REINDEL, Die Herkunft der Bayern (Handbuch der bayer. Geschichte Bd. I) 3. verb. Nachdruck 1975, 84 H. (künftig HBG).
49 Zitiert nach F. WAGNER in: Bayerischer Vorgeschichtsfreund VII, 1921/22,57.
50 Zur Entstehung der Augsburger Bistumsgrenze gegenüber Freising vgl. KLEBEL, Kirchliche und weltliche Grenzen (wie Anm. 24).
51 Wie Anm. 50, S. 192.
52 HBG I, 146 f.

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Kapelle das Bestehen eines antiken Bischofssitzes wahrscheinlich«. Ob dieses allerdings die Völkerwanderungszeit überdauert hat, ist sehr ungewiß; das Problem des »Flucht¬binUfiis« Säben, das R. Heuberger angerissen hat, kann hier nur angedeutet, nicht erörtert werden S8. Jedenfalls bestand oder wurde zu Beginn des 7. Jahrhunderts eine Augsbur¬ger Bischofskirche neu oder wieder begründet.
Eine Kontinuität der späteren Augsburger Bistumsgrenzen mit denjenigen eines spät¬antiken römischen Bistums Augsburg und eines »pagus« Augsburg läßt sich wohl nie durch Quellen nachweisen; in gleicher Weise ist nicht zu belegen, daß der seit dem 8.19. Jahrhundert genannte »Augstgau« 64, dessen Gebiet sich zu bei den Seiten des Lechs um Augsburg erstreckt hat, auf den spätrömischen Pagus zurückgeht. Auszuschließen ist die Kontinuitätstheorie jedoch nicht ganz, vor allem, wenn man in Erwägung zieht, daß in und um Augsburg sich eine römische Restbevölkerung und damit vielleicht auch ein Rest von spätrömischer Staatsorganisation erhalten hat, die unter Theoderich oder dem Frankenkönig Teudebert I. wieder neu belebt worden sein könnte. Das würde bedeuten, daß der Augsburger Raum analog dem Viktoriden-Staat in Churraetien S5 zunächst un¬ter direkte ostgotische und dann fränkische Herrschaft kam und erst später, im 7. oder 8. Jahrhundert zwischen Baiern und Alamannen an der Lechlinie geteilt wurde. Dieser These widersprechen allerdings die äußerst dürftigen Zeugnisse für eine Kontinuität im Flachland-Raetien, vor allem, wenn man zum Vergleich die ganz anders gelagerten Ver¬hältnisse in Noricum, Churraetien oder in der Maxima Sequanorum heranzieht.
Die Ausdehnung des Augsburger Bistumssprengels über den Lech nach Osten hin wird in einen engen Zusammenhang mit einem im 8. Jahrhundert erscheinenden Bistum Neuburg bzw. Staffelsee gebracht, dessen Geschichte schon seit dem 18. Jahrhundert äu¬ßerst kontrovers ist 56. Während R. Bauerreiß S7 in bei den ein einziges spätantikes Klo¬sterbistum auf einer Insel im Staffelsee sieht, ist E. Klebel 58 der Ansicht, daß es sich hier um zwei Bistümer handelte: um ein Bistum im Sualafeld mit Sitz in Neuburg an der Donau, das um 743 im Zuge der karolingischen Expansionspolitik gegründet wurde, und um ein Klosterbistum auf der Insel im Staffelsee, das auf spätantike Wurzeln zu-

 

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53 R. HEUBERGER, Rätien im Altertum und Frühmittelalter. Forschungen und Darstellung I (SchIernschriften 20) 1937.
54 Vgl. E. KLEBEL, Kirchliche und weltliche Grenzen (wie Anm. 24) 206. Es existieren nur 3 Be¬lege für die Jahre 760/70, 888 und 1078. Ferner KLEBEL, Bayern und der fränkische Adel im 8. und 9. Jahrhundert (Vorträge und Forschungen Bd. 1) 1952, Neudr. 1970,207.
55 O. P. CLAVADETSCHER, Die Einführung der Grafschaftsverfassung in Rätien und die Klage¬schriften Viktors IH. v. Chur (Zeitschr. d. Sav.-Stiftung f. Rechtsgesch., Kan. Abt. 39) 1953, 46-111; DERs., Zum churrätischen Reichsgutsurbar aus der Karolingerzeit (Schweizerische Zeit¬schrift für Geschichte 2) 1952, 161-192.
56 Zur Forschungskontroverse vgl. P. BRAUN, Gesch. der Bischöfe von Augsburg I, 1813, 82 f., 114, 120 H.; E. KLEBEL, Kirchliche und weltliche Grenzen (wie Anm.24) 192 H., 199 f., 240 f.; R. BAUEREISS, Kirchengeschichte Bayerns, Bd. I, 2. überarbeitete und erw. Auflage 1974, 6 H. (dort weitere Literatur); F. ZOEPFL, Das Bistum Augsburg und seine Bischöfe im Mittelalter I, 1956,31 H., und VOLKERT-ZOEPFL, Die Regesten der Bischöfe u. des Domkapitels von Augsburg I, 1955, 5, 15 u. H.; VOLKERT-ZOEPFL Regesten I, 1955, 20 H., 26 f.; zuletzt K. REINDEL (HBG I) 168 H.; St. Simpert, Bischof v. Augsburg (JbVAB 12) 1978, 168 u. 181 H.
57 BAUEREISS (wie Anm. 56) 6.
58 KLEBEL (wie Anm. 24) 242.

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rückgeht und die Seelsorge über die dort sitzenden Romanen ausübte. F. Zoepfl59 sprach sich, obgleich gebürtiger »Staffelseer« aus Murnau, für ein einziges Bistum mit Sitz in Neuburg a. d. Donau aus, das das gesamte rechtslechische Gebiet der Diözese Augsburg umfaßte. Er erklärte die Gründung des Bistums damit, daß auf Betreiben des baierischen Herzogs Odilo, der um die Selbständigkeit seines Herzogtums sehr besorgt sein mußte, 744 - vielleicht auch schon im Zusammenhang mit der bonifazianischen Bistumsorganisation von 739 - von Papst Zacharias sämtliche rechtslechischen Gebiets-teile vom Bistum Augsburg abgetrennt und unter einem eigenen »ausgesprochen bayeri-schen Landesbisturn« verselbständigt wurden: Eine Ansicht, die bereits im 18. Jahrhun-dert von einem Münchner Akademiemitglied vertreten worden ist. Klebel ist hingegen der Ansicht, daß Augsburg für die kirchliche Organisation Baierns überhaupt nichts bei-getragen hätte; seine Grenzen hätten vor dem Ausgang des 8. Jahrhunderts den Lech nicht überschritten 60. Während die wenigen, aus der Zeit vor 800 vorhandenen Quellen also sehr widersprüchliche Interpretationen zulassen, steht für die Zeit zwischen 801 und 807 fest, daß Bischof Sintpert von Augsburg, der sowohl als »ecclesiae Niuuinburgcensis provincie Bajuariorum episcopus« und einmal auch als »Stafnensis aecclesiae episcopus« erscheint 61, im Auftrag Karls des Großen und mit Einwilligung Papst Leos IH. »parro-chiam vero ambarum partium Lici fluminis ... coadunavit« 62. Es ist also nur von den bei den Teilen der Diözese die Rede. Deswegen hat immer noch die These des Augsburger Benediktiners Placidus Braun (1813) einiges für sich, daß Bischof Sintpert von Augsburg sich nur nach seinen zeitweiligen Sitzen »Neuburg« und »Staffelsee« genannt habe 63. Sein Wunsch nach Wiedervereinigung der beiden Bistumsteile 798 hätte nur die Unter¬stellung des rechtslechischen Teils des Bistums unter den Mainzer Metropolitansprengel, zu dem Augsburg seit dem 7. Jahrhundert gehörte, bei der Errichtung des salzburgisch¬bayerischen Metropolitenverbandes durch Karl d. Großen sicherstellen sollen.
Mit der Diskussion um die »Bistümer« Neuburg oder/und Staffelsee hängt eng die Frage nach der Rolle des im 8. und 9. Jahrhundert bezeugten Huosigaus als Ursprung für die genannten Bistumssprengel wie als Ursache für das Ausgreifen des Bistums Augs¬burg über den Lech nach Osten zusammen 64. Die Huosier lassen sich als adelige Grund¬herren zwischen Lech und Isar von den Tälern der Ilm und Glonn bis hin zu den Alpen im 8. Jahrhundert nachweisen; die Gründer der Klöster Benediktbeuern und Scharnitz-Schlehdorf werden diesem Geschlecht zugerechnet. Daß eine sehr frühe und enge Bezie-hung dieser baierischen »genealogia« der Lex zu Augsburg bestanden haben könnte, ist wahrscheinlich, wenn man bedenkt, daß Augsburg bis ins 8. Jahrhundert nur das einzige

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59 F. ZOEPFL (wie Anm. 56), 32 f. E. KLEBEL, Bayern und der fränkische Adel im 8. und 9. Jh.  (Vorträge und Forschungen I) 1952,207 f.
60 KLEBEL (wie Anm. 24), 241, 244,253.
61 VOLKERT/ZOEPPL, Regesten I Nr. 15 u. 16 (für 799/800). 62 VOLKERT/ZOEPFL, Regesten I Nr. 17.
63 Wie Anm. 56; Reindei schließt sich jedoch weitgehend der Ansicht Zoepfls an.
64 über die Huosi und den Huosigau vgl. REINDEL (HBG I) 83, 157 f.; KLEBEL, Kirchliche und weltliche Grenzen (wie Anm.24) 206; Klebel ist der Ansicht, daß der Huosigau um 800 kirchlich der Diözese Augsburg angegliedert wurde (5.254), nachdem seine Nordhälfte an Freising gekom¬men war (5.217,244); FRIED/HIERETH (wie Anm. 2), 16 f.

 

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größere Bistum des Raumes war. Wenn man den Augstgau als Grundlage für das unmit-telbar östlich Augsburgs vorgelagerte Bistumsgebiet heranzieht, so müßte dies auch für den taschenförmig ausbuchtenden Raum des Huosigaus südöstlich da von gelten.
Insgesamt spricht sehr vieles dafür, daß der Augsburger Bistumssprengel seit Anfang an über den Lech in das bayerische Gebiet gereicht hat. Die These Klebels von der ur-sprünglichen Lechgrenze als Augsburger Bistumsgrenze ist zu einseitig unter dem bayer i-sehen Blickwinkel gesehen. Die Bistümer Neuburg und Staffelsee sind im übrigen frühe-stens erst seit der Mitte des 8. Jahrhunderts nachweisbar, während das Bistum Augsburg schon mindestens ein Jahrhundert vorher bestand. Der Augsburger Bischof Wikterp ist um die Mitte des 8. Jahrhunderts bereits für den Benediktbeurer Raum zuständig 65, was Klebel selbst zugibt 66. Der beträchtliche Grundbesitz nach den "Brevium exempla« um 800, der dort der Augsburger Bischofskirche gehört, spricht wohl auch für eine ursprüngliche Verbindung mit Augsburg, wenngleich allerdings der Zustand nach der Wiedervereinigung bereits wiedergegeben sein könnte 67.
Nicht weniger problematisch ist die These Klebeis, Augsburg sei 625/30 als Missions-bistum für Baiern, das damals bis zur Iller gereicht haben soll, von Dagobert I. begrün¬det worden; erst Karl Martell hätte das Bistum um 725 endgültig an Schwaben zuge¬teilt 68. Das Gegenteil dürfte eher der Fall gewesen sein: Das Bistum Augsburg wird in erster Linie - analog zum Bistum Konstanz 69 - für die Missionierung der dort zu bei¬den Seiten des Lechs sitzenden Alamannen als Bistum errichtet worden sein. Das relativ häufige Martins-Patrozinium der Augsburger Urpfarreien weist eindeutig auf frühere fränkische Missionstätigkeit hin 70. Im 8. Jahrhundert erfolgt dann die bekannte Zusam¬menarbeit zwischen dem Augsburger Bischof Wikterp mit dem Mönch Magnus aus dem Kloster St. Gallen zur Missionierung des Allgäuer Raumes 71. Sicherlich ist es richtig, daß die Ostgrenze des Augsburger Bistums gegen Osten noch lange Zeit offen war, im Gegensatz zur Westgrenze, die seit der Gründung des Bistums Konstanz wohl immer schon an der Iller verlief72. Eine erste Abgrenzung im Osten, die zum heutigen Verlauf führte, könnte im Zusammenhang mit der bonifazianischen Bistumsorganisation 738/42 in Baiern erfolgt sein, als das Nachbarbistum Freising eingerichtet wurde. Doch haben gerade hier, wie Klebel gezeigt hat 73, die Grenzen bis zum ausgehenden 11. Jahr-

 

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65 MG SS 9, 214 und VOLKERT-ZOEPFL, Regesten I, Nr. 3.
66 KLEBEL, Kirchliche und weltliche Grenzen (wie Anm. 24) 241. 67 MG Capit. I 250-252.
68 KLEBEL (wie Anm. 24) 192,253.
69 H. TÜCHLE, Kirchengeschichte Schwabens, 2 Bde., 1950/54, hier Bd. I 65 H.; TH. MAYER, Konstanz u. St. Gallen in der Frühzeit (Schweiz. Zeitschrift für Geschichte 2. Jgg.) 1952, 473-524.
70 FRIED/HIERETH (wie Anm. 2) 17.
71 VgI. F. ZOEPFL, Bistum Augsburg (wie Anm. 56).
72 Sie wird auf kgI. Schiedsspruch zurückgeführt. VgI. F. L. BAUMA!l:N, Gesch. d. Allgäus I, 1881, 90; Weiterhin: Schwaben und Schweiz im frühen und hohen Mittelalter. Gesammelte Auf¬sätze von Heinrich Büttner hrsg. v. H. Patze (Vorträge und Forschungen Bd. XV) 1972; H. BÜTTNER, Die Entstehung der Konstanzer Diözesangrenzen (Zeitschr. f. Schweiz. Kirchenge¬schichte 48) 1954, 225 H.
73 KLEBEL, Kirchliche und weltliche Grenzen (wie Anm. 24) 200.

 

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hundert in einzelnen Teilbereichen noch sehr geschwankt. Erst seit dieser Zeit hat die Ostgrenze wohl den Verlauf, wie er aus den frühen Freisinger und Augsburger Bistums¬matrikeln im 14. und 15. Jahrhundert zu ermitteln ist 74.
Alles in allem: die Erforschung der interessanten Ostgrenze des Bistums Augsburg weist je nach ihren Vertretern kontinuitäts- und bistumsbetonte, stammesbaierische, staatsbayerische, westbayerisch-huosigauische oder alamannisch-schwäbische Akzente auf. Wahrscheinlich ist, daß das rechtslechische Gebiet von Anfang an zum Bistum Augsburg gehörte; ein ursprünglicher Bistumssitz Augsburg an der äußersten Grenze sei¬nes Sprengels wäre kaum erklärbar, was indirekt auch Klebel zugibt. Die Grenze scheint lange Zeit gegen Osten hin offen gewesen zu sein, vor allem in einer Zeit, als Baiern noch keine Bistumsorganisation hatte. Vermutlich ist eine Hauptaufgabe des Augsburger Bistums die Missionierung der im Umland siedelnden Alamannen gewesen - auch derje¬nigen rechts des Lechs - wie es uns die folgenden Erörterungen über die Mundart- und Siedlungsgrenze wahrscheinlich machen.
II. Die Mundart-, Siedlungs- und Volkstumsgrenze
In der Diskussion über die Herkunft der Baiern wird allgemein eine alamannische Vorbevölkerung und eine alamannische Siedlung im später baierischen Gebiet angenom¬men 75. Es gibt hierfür archäologische Zeugnisse, die allerdings noch sehr sporadisch sind - es handelt sich nach H. Zeiss 76 und Ursula Koch 77 um Gräber mit "alamannischem« Beigabengut bei Irsching und Irlmauth in der Nähe von Regensburg, so dann den be¬kannten Bericht vom Auftauchen des Herzogs Gibuld um 480 mit einem alamannischen Stammesheer vor Passau in der Vita Severini 78, und schließlich einige "Schwaben-Orts¬namen« östlich des Lechs - die These von Helbok, daß alle ing- bzw. ingen-Orte auf alamannische Siedlung hinweisen, ist nicht zu halten 79. Als wichtigstes Indiz für die alamannische Vorbevölkerung gilt jedoch der Verlauf der baierisch-schwäbischen Mund¬artgrenze, genauer gesagt, der Ausdehnungsbereich der alamannischen Dialekteinschlä¬ge im Gebiet östlich des Lechs. Die schwäbisch-baierische Mundartgrenze wurde bisher

 

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74 V gl. Bayer. Geschichtsatlas, 1969, Karte 26/27; Kirchliche Organisation um 1500, von G. DlEPOLDER.
75 (HBG I) 31975, 79, 90; G. J. WAlS, Die Alemannen in ihrer Auseinandersetzung mit der römi-schen Welt, 1943, 38 f. Anm.2 (Lit.!), 116, 236; H. ZEISS, Alemannische Gräber bei Irsching (Obb.) (Germania 11) 1927, 132-137.
76 Nach ReindeI (HBG I) 83 glaubt man, eine »alemannische Vorbevölkerung ... aus archäolo-gisehen ... Notizen« erschließen zu können.
77 U. KOCH, Die Grabfunde der Merowingerzeit aus dem Donautal um Regensburg (Germ. Denkmäler d. Völkerwanderungszeit A 10) 1, 1968.
78 Vgl. Quellen zur Geschichte der Alamannen Bd. I u. 11, übersetzt von C. DlRLMEIER, durch-gesehen und mit Anmerkungen versehen von G. GOTTLIEB (Heidelberger Akademie der Wissen-schaften, Kommission für Altertumskunde, Schriften Bd. 1 u.3), 1976 bzw. 1978.
79 A. HELBOK, Grundlagen der Volks geschichte Deutschlands und Frankreichs I, 1937, 309-314; B. EBERL, Die bayer. Ortsnamen als Grundlage der Siedlungsgeschichte (Bayer. Hei¬matbücher 2) 1925/26, bs. S. 61 H.

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vor allem von Bruno Schweizer, Eberhard Kranzmayer, Karl Bohnenberger, Eduard Nübling, Georg Moser und zuletzt von R. Freudenberg eingehend erforscht. Den aktuel¬len Forschungsstand vermittelt der Beitrag von Ingo Reiffenstein im Handbuch der bayerischen Geschichte 80, auf den wir uns im wesentlichen stützen.
Darnach bildet zwar der Lech »eine sehr deutlich ausgeprägte Mundartgrenze - eine der schärfsten im deutschen Sprachgebiet überhaupt - dennoch ist ihm östlich bis gegen Schrobenhausen, München und Tegernsee ein übergangsgebiet vorgelagert, das deutlich schwäbische Spuren zeigt (schis). Diese alamannische Unterschichtung findet im Süden (tirolisches Oberinntal) und im Norden (Ries, Altmühl-Rezat-Gebiet) ihre Fortsetzung und wird bis in die Siedlungszeit zurückreichen« 81. Insbesondere weist der Raum süd¬östlich von Augsburg zwischen dem Lech auf der einen und der Linie Paar-Ammersee¬Staffelsee auf der anderen Seite einen noch stärkeren schwäbischen Mundarteinschlag auf. Er ist vor allem gekennzeichnet durch das helle schwäbische »a«, die schwäbische Nachsilbe »a« und die Verbreitung des schwäbischen »Aftermenta« für Dienstag. E. Nübling hat in seiner Mundart- und Stammeskarte im Historischen Atlas von Baye¬risch-Schwaben dieses Gebiet dem Ostschwäbischen zugeteilt 82. In vielen Atlanten findet sich diese Grenze deswegen auch als politische Stammesgrenze eingezeichnet. Wenngleich diese bisweilen als Ergebnis des jahrhundertelangen Einflusses schwäbischer Priester der Diözese Augsburg im altbayerischen Gebiet erklärt wurde, so zweifelt heute niemand mehr daran, daß wir es mit schwäbischen Mundartformen zu tun haben, die bis auf die frühe Siedlung zurückgehen. Auch die These, daß die schwäbischen Dialektimmissionen erst durch einen Bevölkerungstransfer innerhalb der welfisch-staufischen Herrschafts¬gebiete im 11. und 12. Jahrhundert zustandegekommen seien, ist von der Sache her nicht zu halten, zumal wir hierfür in den Quellen nicht den geringsten Anhaltspunkt haben. Hingegen ist zu berücksichtigen, daß das Schwäbische in diesem Raum ursprünglich wohl noch stärker und ausgeprägter gesprochen worden sein dürfte, wenn man an die jahrhundertelange territoriale Zugehörigkeit des bayerischen Lechraingebietes vom 13. bis zum 18. Jahrhundert zum Herzogtum und Kurfürstentum Bayern denkt, was nach den neuen Erkenntnissen der Mundartforschung sprachlich nicht ganz ohne Auswirkung geblieben sein kann. Reiffenstein ist sogar der Ansicht, daß auch noch das Ostschwäbi¬sche zwischen Iller und Lech, wegen seiner Randlage gleichfalls eine sprachliche Relikt-landschaft mit eigengeprägten Formen, von baierischen Sprachmerkmalen überlagert worden sei. Es deckt sich seiner Ansicht nach in auffälliger Weise mit den Grenzen der alten Diözese Augsburg 83.
Zweifellos haben sich im Raum zwischen Lech und Ammersee wegen seiner Grenzla-ge noch altertümlichere Sprachrelikte - (sog. Barrierenrelikte) - bis in die Gegenwart herein erhalten, so daß bisweilen noch mittelhochdeutsche Wort- und Sprachformen be¬gegnen, die Anklänge an das Südbaierische und an das Nordalamannische aufweisen (affriziertes h im Wort inneren = eh!).
80 Bd. IV /2, 1975. 81 (HBG IV/2) 727. 82 Karte S. 9.
83 (HBG IV/2) 727.

 

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Damit ist die entscheidende Frage berührt, ob es bereits zur Zeit der frühen Siedlung sprachliche Unterschiede zwischen dem Schwäbisch/Alemannischen und dem Baierischen gegeben hat. Daß solche im 8. Jahrhundert bestanden haben, kann nach den vorhande¬nen Sprachquellen nicht bezweifelt werden, auch wenn eine erste genauere topographi¬sche Fixierung erst im 13. Jahrhundert möglich ist. 1. Reiffenstein hat zuletzt zwar noch einmal auf die enge Verwandtschaft des baierischen und alemannischen Dialekts auf¬grund der gemeinsamen west- bzw. elbgermanischen Sprach wurzel hingewiesen, aber auch den frühen Unterschied betont und erklärt: »Der Unterschied zwischen dem Baye¬rischen und dem Alemannischen liegt im Laut- und Formenbestand in erster Linie darin, daß das Alemannische früher und stärker von Frankonisierungsvorgängen erfaßt wurde als das Bayerische, obgleich auch dieses nicht frei ist von solchen schreibsprachlichen Oberschichtungen« 84. Reiffenstein weist weiter auf die sprachliche Verwandtschaft zwischen dem Alamannischen und Baierischen einerseits und dem ebenfalls elbgermani¬sehen Langobardischen andererseits hin: »Die Gemeinsamkeiten des Germanischen bei¬derseits der Alpen waren im 7. und 8. Jahrhundert vermutlich größer als die zwischen dem Bayerischen und dem Fränkischen. Daß die starken zentrifugalen Kräfte im Süden wie im Norden (Sächsisch - Nordisch - Angelsächsisch) schließlich doch nicht zum Tragen kamen, ist die geschichtliche Leistung der Franken. Auch sprachlich wäre »deutsch« nicht möglich geworden ohne die Verklammerung des bayerischen (und frü¬her schon des alemannischen) Südens und des sächsischen Nordens durch die Fran¬ken« 85.
Die Existenz einer alamannischen Vorbevölkerung und Siedlung östlich des Lech bis zur Isar hin, ist, wie bereits angedeutet, bis jetzt allerdings archäologisch noch nicht hin¬reichend abgesichert, wie es überhaupt schwierig sein dürfte, den »östlich merowingi¬schen Reihengräberkreis« vom westlichen, fränkisch-alamannisch geprägten Typ gleicher Art genau abzugrenzen 88. Auch aus den bisher noch wenig erforschten Ortsnamen er¬gibt sich kein genauer Hinweis, daß wir es diesseits und jenseits des Lechs mit gleichen Sippenhäuptern oder Gefolgschaftsherren in den patronymischen Ing-Orten zu tun ha¬ben. Ein einziges Beispiel scheint bislang für das bayerische Mering und das schwäbische Schwabmünchen vorzuliegen, deren ursprüngliche gemeinsame Form »Mantichingun« lautete 87. Eine Aussage über die frühen Besitzverhältnisse im Grenzraum sind gleichfalls nur sehr begrenzt möglich, da das Archiv der Augsburger Kirche am Ende des 11. Jahr¬hunderts vernichtet worden ist. Die wenigen vorhandenen Zeugnisse lassen den Schluß zu, daß die Augsburger Hochkirche mit Besitz zu bei den Seiten des Lechs ausgestattet wurde. Wer die Besitzvorgänger der Welfen waren, die seit dem 10. Jahrhundert den

 

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84 (HBG IV/2) 710. 85 (HBG IV/2) 710 f.
86 J. WERNER, Die Herkunft der Bajuwaren und der »östlich-merowingische« Reihengräberkreis (Schriftenreihe z. bayer. Landesgeschichte Bd. 62) 1962, 229-250.
87 Größere namenkundliche Untersuchungen fehlen. Klebe! nimmt den westoberbayerischen und mittelschwäbischen -hausen-ürte-Gürtel für eine bayerische Besiedelung nach 560 in Beschlag, was jedoch ebenso ein Beweis für alemannische Siedlung sein kann. S. Bayern und der fränkische Adel im 8. und 9. Jh. (Vorträge und Forschungen I) 1952,207 H.

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Lechrain beiderseits des Lechs beherrschen, ist gleichfalls nicht zu erhellen 88. Obgleich bis zur Säkularisation für bayerische und schwäbische Grundherrschaften, insbesondere auch von Augsburger Bürgern, der Lech keine Grenze war 89, so führten doch Gegenre-formation und Absolutismus zu einer starken Verengung der bisherigen grundherrschaft-lichen Beziehungen, was insbesonders den Besitz in Adelshand betraf. Der ursprüngliche Welfenbesitz hat sich jedoch teilweise in den geistlichen Grundherrschaften der Klöster Rottenbuch und Steingaden beiderseits des Lechs - wie auch der des Hochstifts Augs¬burg und insbesondere des Reichsstiftes St. Ulrich und Afra - bis 1803 konserviert 90. Die Grundherrschaften waren jedoch, soweit dies bis jetzt zu überblicken ist, wegen der Streulage der Güter und der geringen herrschaftlichen Intensität nicht in der Lage, tief-greifendere Unterschiede oder Gemeinsamkeiten in Sprache und Volkstum zu begrün¬den.
Mit dem dialektologischen Befund ostlechisch-alamannischen MundarteinHusses dek¬ken sich nun auffälligerweise auch solche aus dem Bereich der Volkskunde. Der als »oberschwäbisch« gekennzeichnete Einhaustyp reicht, wie Rudolf Hoferer (1942) ge¬zeigt hat, bis weit vor München und an die obere Isar hinüber 91. Ober das Alter dieser Hausformenlandschaft liegen allerdings noch keine historischen Forschungen vor. Inwie-weit deswegen daraus Schlüsse auf den ursprünglichen alamannischen Volkscharakter der Bewohner dieses Gebietes gezogen werden können, sei allerdings dahingestellt.
Bei den Bewohnern zwischen Lech, Paar und Ammersee, also den bayerischen »Lech-rainern«, wie sie sich selbst nennen, ist ferner noch bis in die jüngste Zeit herein ein eigenartiges Sonderbewußtsein festzustellen 92. Daß sie sich als überzeugte Bayern füh¬len, ist nach der jahrhundertelangen Zugehörigkeit ihres Landes zum Herzogtum und Kurfürstentum Bayern leicht erklärlich. Doch besteht teilweise heute noch in der älteren Generation gegenüber den »Baiern«, den »Bora« des Unterlandes, deren Sprache als schwerfällig und deren Verhaltensweise oft als rauh und grobschlächtig betrachtet wird, ein ausgeprägtes Distanzbewußtsein. Als gebürtiger bayerischer »Lechrainer« könnte ich einiges davon erzählen, doch würde dies zu sehr in den Bereich des Volkskundlichen hinüberspielen, für den hier nur auf das klassische Werk von Karl Freiherr von Leo-prechting »Aus dem Lechrain« 93 verwiesen werden kann. Jedenfalls scheint auch aus

 

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88 J. FLECKENSTEIN, über die Herkunft der Welfen und ihre Anfänge in Süddeutschland (Stu¬dien und Vorarbeiten zur Geschichte des großfränkischen Adels, hrsg. v. G. TeIlenbach) 1957, 71-136.
89 FRIED/HIERETH (wie Anm. 2), 16 H.
90 P. FRIED, Studien zur Grundherrschaft des Augustinerchorherrenstifts Rottenbuch (900 Jahre Rottenbuch, hrsg. v. H. Pörnbacher) 1974,72-82.
91 R. HOFERER, Die Hauslandschaften Bayerns (Bayerisch-Südostdeutsche Hefte für Volks¬kunde) 1942; T. GEBHARD, Wegweiser zur Bauernhausforschung in Bayern (Bayer. Heimat¬forschung H. 11) 1957.
92 Eigene Erkundungen. Vgl. P. FRIED, Die Mundart im Landkreis Landsberg (Heimatbuch Stadt-und Landkreis Landsberg) 1966, 299-302. S. HOFMANN, Altbaiern-Lechrainer-Schwaben (Lech-Isar-Land 1973) 154 H.; W. KÖNIG, Mundart (Heimatbuch Schwabmünchen) 1974, 343 H. 93 1855 erstmals erschienen, 1977 wiederum neu aufgelegt.

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dem Volksbewußtsein im Lechrainer Reliktgebiet viel für eine ursprüngliche alamanni-sche Besiedlung zu sprechen, die allerdings schon früh, seit dem ausgehenden 6. Jahrhun-dert herrschaftlich-baierisch überschichtet wurde, ihre Eigenart aber zäh bis in die jüng¬ste Gegenwart erhalten hat, in der sie allerdings im Verschwinden begriffen ist.
III. Zusammenfassung der Ergebnisse
Es muß hier abgebrochen werden im Bewußtsein, daß vieles nur summarisch und vereinfachend dargestellt werden konnte, was in den Einzeldisziplinen Gegenstand subti-ler Einzelforschung ist. Eine Reihe von Problemen wie z. B. die naturräumlich-geogra-phischen Voraussetzungen konnten überhaupt nicht oder ganz am Rande berührt wer-den. Ziel des Vortrages war jedoch weniger die Darbietung von Einzelforschung als viel-mehr der Versuch, durch Zusammenschau der Methoden und Befunde der einschlägigen Fächer zu einem vorläufigen Gesamtbild der Entstehung und Frühgeschichte der ale-mannisch-baierischen Lechgrenze beizutragen, das in etwa den gegenwärtigen For-schungsstand wiedergibt. Daß es in vielem noch unvollkommen ist und er,st im interdiszi-plinären Gespräch weiter ausgeformt werden muß, ist sich niemand mehr bewußt als der Vortragende selbst. Doch versuchen wir abschließend einige Grundtatsachen als Ergeb-nisse unserer Studie anzuführen, die vielleicht Ansätze für Diskussion und weitere For-schung bilden können:
1) Unter naturräumlicher Sicht kann der Lech durch seinen breiten ödlandstreifen bis zu einem gewissen Grad eine »natürliche« Grenze zwischen West und Ost bilden 94. Sie kam nicht zum Tragen, solange Kräfte von Süden und Norden sich gegenüber¬standen, wie dies zur Römerzeit der Fall war. Dies änderte sich nach der Völkerwan¬derung, als Franken, Alamannen und Baiern sich in östlich-westlicher Richtung be¬gegneten. Hier bot sich der Lech für eine herrschaftlich-politische Grenzziehung an.
2) Diese liegt nach der eindeutigen Aussage der Schriftquellen als politische Stammes-grenze (Herzogtumsgrenze) zwischen Alamannen und Baiern seit dem 6., spätestens jedoch seit dem 8. Jahrhundert fest, wobei besonders zu beachten ist, daß sie bis 788 ihrer Funktion nach eher eine Grenze zwischen dem stärker fränkisch beeinflußten ostalemannischen Gebiet und dem relativ selbständigen, östlich und langobardisch orientierten Baiern gewesen ist.
3) Der Verlauf der Bistums- wie auch der Mundart- und Volkstums grenzen ist offenbar nicht identisch mit der politischen Stammesgrenze, er spiegelt zum Teil frühere Ver-hältnisse herrschaftlicher und siedlungsmäßiger Natur wider.

 

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94 Noch 1833 ist der Lech, wenngleich keine politische Grenze mehr, derart trennend, daß der Landrath des Oberdonaukreises die Errichtung von Brücken fordert: »Dieser Strom durchschnei¬det den Kreis nach mehr als 2 Drittheilen seiner ganzen Länge, und trennt die Bewohner dessel¬ben von den gegenüber wohnenden in Ober-Bayern dergestalt, daß beiderseitige Bevölkerung, ob¬gleich ein und dem nämlichen Vaterland angehörend, doch einander fast so fremd sind, als ob ein 5 Stunden breiter Landstrich sie voneinander trennte.« (Frd!. Mitteilung R. Haggenmüller.) Vg!. dazu von R. HAGGENMÜLLER, Bezirkstag Schwaben 1954-1978, 1978.

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a) Die Augsburger Bistumsgrenzen östlich des Lechs können noch auf spätantike kirchli¬che Traditionen (Augstgau, Klosterbistum im Staffelsee), oder frühe Herrschaftsver¬bände (Huosigau) zurückgehen. Bei der fränkischen Neu- bzw. Wiederbegründung im beginnenden 7. Jahrhundert handelt es sich bei Augsburg wohl in erster Linie um ein Bistum für die Alamannen, die vermutlich auch rechts des Lechs siedelten. Die Grenze war jedoch lange Zeit offen; sie erhält erst im ausgehenden 11. Jahrhundert ihren heute noch bestehenden Verlauf.
b) Die sprachgeschichtlich-mundartkundliche Untersuchung liefert wohl das wichtigste Indiz, daß wir es mit einer frühen alamannischen Vorbevölkerung und Siedlungstä¬tigkeit östlich des Lechs bis zur Isar hin, insbesondere aber im Raum südöstlich von Augsburg zu tun haben. Damit scheint der Befund der Hausformen zu korrespondie¬ren, die in der Regel sehr beständig sind. Archäologische und namenkundliche Unter¬suchungen sind bis jetzt unter dem Aspekt der alamannisch-baierischen Siedlungs¬grenze noch nicht angestellt worden94a).
4) Seit dem ausgehenden 6. Jahrhundert haben wir es mit einer ständigen herrschaftlich¬baierischen überschichtung zu tun, die erklärt, daß heute alle wichtigen gegensätzli¬chen Mundartmerkmale stark gebündelt am Lech sich voneinander absetzen und die¬ser so eine der »schärfsten Mundartgrenzen« des deutschen Sprachraumes bildet. Schwäbischer Einfluß wirkte jedoch als Ausstrahlung des Hochstifts und Bistums Augsburg sowie über den Grundbesitz schwäbischer Reichsstädte östlich des Lechs unterschwellig weiter, ohne jedoch die bewußtseinsprägende Kraft, die vom baye¬risch-dynastischen Stammes- und Staatsbewußtsein ausging, in Frage zu stellen.
Gestatten Sie noch einen Schlußgedanken. Die Grenze, vor allem die politische, ist nichts Statisches, Beharrendes und letztlich auch nichts Trennendes, so sehr dies auch oft von den »Grenzziehern« und den »Begrenzten« beabsichtigt gewesen sein mag. Grenzen werden und vergehen, und wenn sie weiterbestehen, so wechseln sie ihre Funktion und Dichte nach der jeweiligen historischen Konstellation: sie werden unterlaufen, ausgehöhlt und geradezu verbindend, aber auch trennend und undurchlässig bis hin zum »eisernen Vorhang«. Zur römischen Zeit war der Lech wohl keine Grenze. Er wird es erst mit der alamannisch-baierischen Stammes- und ostgotisch-fränkischen Reichsbildung. Unter Karl d. Großen wird Baiern 788, wie zuvor Alamannien, dem Frankenreich als Provinz ein¬verleibt. Die Lechgrenze verliert damit erstmals ihre politische Bedeutung, als Stammes¬grenze bleibt sie jedoch bestehen und gewinnt im jüngeren Stammesherzogtum wieder eine gewisse politische Funktion. Seit Karl d. Großen gewinnen aber Augsburg und der »Lechrain« jene Bedeutung, die dann im hohen Mittelalter voll zum Tragen kommt: ein königlich/reichischer Stützpunkt auf der Grundlage des Bistums und Königsguts zwischen dem baierischen und alamannischen Stammesherzogtum zu sein und damit zugleich den Zugang zu den hier nach Italien führenden Pässem (Brenner, Reschen/Scheideggpaß) 95)zu sichern 96).

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94a)  Siehe jedoch zuletzt die Arbeit von M. Trier.  

95) K. VÖLKL, Der obere Weg. Die Via Claudia Augusta auf der Strecke von Bozen bis Landeck (Jb. d. Südtiroler Kulturinstituts Bd. V /VI/VII) 1965/67, 89 ff.

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Unter den Saliern und Staufern wird so das Grenzland am Lech mehr und mehr zum wichtigen Durchgangs- und Verbindungsland zwischen den deutschen Landen, dem Reichsgut in Franken und Schwaben zum Reichsitalien (K. Bosl), als sich das Zentrum des Reiches von Westen nach Osten, zu den Ostfranken, Sachsen, Baiern und Schwaben hin verschiebt 96. Das Lechfeld und der sagenumwobene »Gunzenlee« ist der häufige Sammelort der Heere der deutschen Könige vor ihrem Zug über die Alpen nach Itali¬en 97. Erst der Untergang des Stauferreiches läßt die Lechlinie wieder mehr zur »Gren¬ze«, zur Territorialgrenze werden, die dann insbesondere seit dem Absolutismus immer trennender wird, zu Beginn des 19. Jahrhunderts aber ihr Ende findet. Als Stammes¬grenze besteht sie bis heute fort und bildet zusammen mit der Ostgrenze des Bistums Augsburg die Ostgrenze des bayerischen Regierungsbezirks Schwaben 98). Als militä¬risch-strategische »Lechlinie« kam ihr noch in den deutschen Abwehrplänen des 2. Welt¬krieges eine bestimmte Funktion zu 99); zuletzt übrigens wieder im Rahmen von NATO-Verteidigungskonzeptionen, die aber nicht mehr zu unserem Referat gehören.

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96 Vgl. den Beitrag von A. LAYER (HBG III/2) 1971: Schwaben; P. FRIED, Die Staufer in Ost¬schwaben und am Lechrain, hrsg. v. d. Stadt Augsburg 1977.
97 B. EBERL (wie Anm. 31) Teil 11: Der Gunzenl~ (S.93).
98 Vgl. P. FRIED, Schwaben in der bayerischen Geschichte (Altbayern in Schwaben/1) 1976 7-23.
99 R. WAGNER, Das Ende am Lech, 1977.