Leoprechting

Anton Lichtenstern

Karl Frhr. v. Leoprechting

Erzählungen aus einer vergangenen Welt

Vor 150 Jahren schrieb Karl von Leoprechting das Buch „Aus dem Lechrain“

1844 kaufte der 25jährige königliche Kammerjunker Karl Freiherr von Leoprechting das Schloß Pöring bei Pitzling. Er war ein romantischer gesinnter Mann, er liebte sein altes Schlösschen und die kleine Wallfahrtskirche. Im Schloss ließ er sich einen Rittersaal einbauen, für die Kirche beschaffte er zwei schöne Seitenaltäre, an denen sich bis heute sein Wappen findet. Leoprechtings Interesse galt der Geschichte und den Erzählungen des Volkes. Deshalb stieg er, wie ein Biograf schreibt, „von seinem Schlösslein in die rauchigen Wirtshaus- und Spinnstuben hinab“ und notierte alles, was er über das Volksleben und den Volksglauben dort hörte.
Daraus entstand eine der wichtigsten Quellensammlungen zur Volkskunde Bayerns, das Buch „Aus dem Lechrain. Zur deutschen Sitten- und Sagenkunde“. Es erschien 1855 in München und wurde oft neu gedruckt und viel zitiert. Heute kann man es nur noch im Antiquariat bekommen. Das Buch führt uns in die Welt der Bauern und Flößer in den Dörfern um Landsberg. Ein Hauptinhalt sind die Erzählungen über Hexen, Truden und Gespenster, ein anderer die Darstellung der Feste und Bräuche im Jahreslauf. Weitere Kapitel beschreiben das Bauernhaus und die Bräuche bei der Geburt, der Hochzeit und beim Tod. Der letzte Abschnitt bringt Lieder und Sprichwörter.
Angst vor Hexen und bösen Geistern
Das Leben in den Dörfern war alles andere als eine heile Welt. Es war bedroht durch viele Gefährdungen, durch Krankheiten von Menschen und Haustieren oder durch Schädlinge und Unwetter, die die Ernte und damit die Existenz vernichten konnten. An allem, so glaubte man, waren Hexen oder Hexer schuld, die aus Bosheit den Mitmenschen Schaden zufügten. Wenn eine Kuh keine Milch gab, dann hatte eine böse Nachbarin auf zauberische Weise diese aus einer Geiß oder aus einem Zaunstecken für sich gemolken. Hagelunwetter wurden von Hexen gemacht, indem sie das Wasser peitschten. Wenn ein Kind krank wurde, konnte das die Folge des bösen Blicks einer Nachbarin sein. Ein schweißüberströmtes Pferd mit Schaum vor dem Mund war von einer Trud gedruckt worden, einer Art Hexe mit der Fähigkeit, den Körper zu verlassen. Auch die verbreitete Vorstellung vom Hexensabbat, dem Treffen der Hexen mit dem Teufel in der Walpurgisnacht, fand Leoprechting in den Erzählungen der Leute. Der Treffpunkt war, so glaubte man, die finstere Schlucht zwischen Landsberg und Pitzling, die bis heute deshalb Teufelsküche heißt. Über diese Schlucht führte der Weg nach Pitzling auf einem wackligen Holzsteg. Viele Sagen berichten von unheimlichen Begegnungen auf diesem Steg oder am Rand des Abgrunds.
Die Menschen wurden beherrscht von der Angst vor unheimlichen Mächten. In der Dorfgesellschaft begegneten sich viele mit tiefem Misstrauen und mit Hass, weil man überall Hexen und Truden vermutete. Auch die Geister der Selbstmörder fürchtete man so, dass man die Leichen nicht in den Friedhöfen, sondern in Mooren vergrub oder in einen Lechstrudel warf. Dies war streng verboten, trotzdem geschah es, wie die makabre Erzählung „Der Gehängte, dreimal Begrabene und endlich Ersäufte“ aus Thaining zeigt.
Trudensteine und Zauberrituale
Wie versuchte man sich vor diesen unheimlichen Gefahren zu schützen? So vielfältig die Bedrohungen waren, so groß war die Zahl der Gegenmittel. Die wichtigsten waren die kirchlichen Segnungen und geweihte Gegenstände. Das im Osterfeuer geweihte Scheit aus Walnussholz diente zur Abwehr des Blitzschlages, die Palmzweige vom Palmsonntag und die an Maria Himmelfahrt geweihten Kräuter sollten vor Schadenzauber schützen. Pflanzen und Tiere spielten als Abwehrmittel eine große Rolle: Man vertraute auf die Hauswurz auf dem Dach, den Hollerbusch im Garten, den Ziegenbock im Stall und die getrocknete Kröte an der Stalltür. Auch auf geweihte Amulette oder auf einen Trudenstein, einen Kiesel mit einem Loch, setzte man seine Hoffnung. Wenn der Schaden schon eingetreten war, zum Beispiel wenn Viehkrankheiten herrschten, wendete man sich an erfahrene Männer, die mit komplizierten geheimen Ritualen und Zaubermitteln die Verhexung überwinden konnten.
Um sich vor den Hexen zu schützen, versuchte man auch, sie zu erkennen: Dazu verhalf ein Schemel aus neunerlei Holz, auf den man sich während der Christmette kniete, aber auch das Aussehen verdächtigter Frauen, der hinkende Gang, das hässliche Gesicht, rote Augen – der Diffamierung von Frauen als Hexen, vor allem alten und allein stehenden, waren also fast keine Grenzen gesetzt.
Johannisfeuer und Kirchweih
Nicht alles im Leben in den Dörfern war so erfüllt von Aberglauben und Angst. Leoprechting erzählt auch von den Festen in den Dörfern. Auch davon ist vieles Vergangenheit, an die sich niemand mehr erinnert. In den Faschingstagen, die am Gumpigen, heute Lumpigen Donnerstag begannen, zogen die verkleideten Burschen unter der Anführung des „Schellenrührers“ – er trug einen Pferdeglockenkranz – in die Wirtshäuser und durch die Nachbardörfer, überall wurde gezecht, gesungen und getanzt.
Am Johannistag, in der Zeit der Sommersonnenwende, wurden trotz der Verbote auf Anhöhen riesige Feuer entzündet, um die man in einem großen Kreis tanzte, bis der Ring zerriss. Wenn das Feuer niedergebrannt war, sprangen die Paare darüber.
Das größte und ausgelassenste Fest war Kirchweih, das vom Sonntag bis zum Dienstag, an manchen Orten bis zum Mittwoch, mit Gottesdiensten, Festmählern, Verwandtenbesuchen und Tanz gefeiert wurde. Alle Feste, auch private wie Hochzeiten, waren Feste der ganzen Dorfgemeinschaft.
Als Leoprechtings Buch 1855 erschien, hatte er sich schon einen neuen Wohnsitz bei Neuötting erworben. Pöring verkaufte er zwei Jahre später, das Schloss war also nur etwas mehr als ein Jahrzehnt in seinem Besitz. Dieser kurzen Zeitspanne verdanken wir die Kenntnis des Lebens und der Mentalität in unserer Heimat vor 150 Jahren.


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Karl Freiherr von Leoprechting



Schloss Pöring auf einer Lithographie von 1846